Bisher haben wir von Funchal nicht viel gesehen, doch die letzten Tage werden wir ganz der „Stadt der Fenchel“ widmen. Vom Mercado dos Lavradores schlendern wir durch die Rua Santa Maria mit den vergleichsweise niedrigen Häusern — es ist das älteste Viertel der Stadt, wo früher Handwerker und Fischer wohnten und das noch vor einigen Jahren ziemlich desolat war — bis hinauf zur Kirche Socorro mit einem herrlichen Blick über das Meer, zurück über das Fort Sao Tiago, einer Festung, einst gebaut zum Schutz gegen Piratenangriffe, das mehr oder weniger dem Verfall durch Wind und Meer preisgegeben wird, aber auf eigenes Risiko besichtigt werden kann. Um das Viertel aufzuwerten, gab es vor einigen Jahren eine Initiative — das “Projecto artE pORtas abErtas”—, die Türen der Häuser zu bemalen. Viele Künstler unterschiedlicher Qualität waren hier am Werk und haben mit der Zeit an die 100 phantasievolle, manchmal für die jeweiligen Besitzer und ihre Berufe bezeichnende Gemälde entworfen. Dieser bunten Vielfalt wegen hat sich die Straße zu einem Touristenmagnet gemausert, was aber den Restaurants, die sich inzwischen hier angesiedelt haben, wenig nützt. Es gibt von ihnen mehr als potentielle Gäste und die Betreiber versuchen meist vergeblich, die Vorüberziehenden anzulocken.
Jeder kann mitmachen, vorausgesetzt er hat die Zustimmung des Hausbesitzers und der Stadtverwaltung und er findet noch eine unbemalte Tür. Wäre ich noch lange genug hier, würde ich unseren Karl I. von Österreich malen, wie er, gekrönt mit einem Seligenschein (dieser ist etwas weniger strahlend als ein Heiligenschein) mit seinen zarten kaiserlichen Fingern eine Nonne von ihren Krampfadern befreit. (Ich stelle mir das ungefähr so vor, wie man den Darm aus einer Garnele zieht.)
Weiter geht es zur Kathedrale Se, wo die Prachtstraße Avenida Arriaga beginnt, in der sich auch der Sitz der Company Blandy‘s befindet, die seit über 200 Jahre Madeira Wein herstellt und exportiert. Dafür dürfen ausschließlich Trauben verwendet werden, die auf Madeira wachsen und davon gibt es an den Hängen der gesamten Küste genug. Da diese meistens steil sind, kann die Lese nur per Handarbeit erfolgen. Im Unterschied zu Portwein oder jedem anderen Wein, reift Madeira nicht in Kellern, sondern bei Raumtemperatur in Fässern aus amerikanischem Holz. Einmal in der Flasche abgefüllt behält er seine Qualität mindestens 100 Jahre. In einem Safe liegen noch ganze zwei Flaschen Jahrgang 1811, eine dritte wurde zum 200-sten Jubiläum 2011 von auserlesenen Gästen gezwitschert. Dieses „Fachwissen“ habe ich natürlich bei einer Führung erfahren, an deren Ende wir Madeirawein verkosten. Ob süß, halbsüß, trocken oder halbtrocken, man würde ihm auf den ersten Schluck nicht einen Alkoholgehalt zwischen 18 und 22% zutrauen. Es empfiehlt sich daher, ihn eher in kleinen Dosen zu genießen. Als Aperitiv, zum Käse oder als Dessertwein. Terrantez im Bild unten ist eine sehr alte, aber inzwischen sehr seltene Traube.
In einem benachbarten Park, auf einer Freilichtbühne, probt eine Fadosängerin mit ihren Musikern für ein Abendkonzert. Auf den sonnigen Bänken lauschen Einheimische und müde Stadtbummler wie wir, diesen für ganz Portugal so typischen Klängen. Einige Obdachlose schlafen hier ihren Rausch aus. Der Drogenkonsum und die damit einhergehende Kriminalität sind auch im Paradies seit einigen Jahren ein Problem.
Im Mercado dos Lavradores befindet sich auch der Fischmarkt, wo ich bereits am frühen Morgen Espada und Papageienfische eingekauft habe. Erstere haben ein furchterregendes Aussehen, ihr weißes Fleisch schmeckt jedoch hervorragend. Was wieder einmal beweist, dass es auf die inneren Werte ankommt.
Der größte Teil des Marktes, vor allem von Freitag bis Sonntag, ist Obst und Gemüse vorbehalten. Natürlich gibt es auch Stände bzw. kleine Geschäfte mit Fleisch, Wurst, Käse und Gewürzen, sowie Bars, kleine Restaurants, Souvenirläden und Blumenstände, die fest in den Händen von älteren Frauen in Landestracht sind. Zu dieser Tracht gehören Kopfbedeckungen, die eine Mischung aus Fes und Zipfelmütze sind. (Kann es sein, dass Zipfelmützen durch die Ähnlichkeit in Name und Form mit Gipfel verwandt sind? Und daher typisch für bergige Gegenden? Oder gibt es auch in flachen Gegenden traditionelle Zipfelmützen? Jede unernste Antwort ist mir übrigens willkommen). Der Markt erinnert ein bisschen an den Wiener Naschmarkt, auch was die verhältnismäßig hohen Preise und die listigen Verkäufer betrifft. Denn normalerweise sind die Lebensmittelpreise auf Madeira niedriger als bei uns.
Zum Abschluss nehmen wir noch den Afternoon Tea im Reid‘s Palace. Es ist das berühmteste Hotel auf Madeira mit einer alten Geschichte. Schon Kaiserin Sisi ist hier abgestiegen, später Winston Churchill, Bernhard Shaw, Margret Thatcher, Charlie Chaplin und andere Hollywoodstars. Das Luxushotel liegt auf einem Felsen direkt über dem Atlantik in einem tropischen Garten.
Man erwartet, dass wir smart casual angezogen sind. Also suchen wir die noch halbwegs sauberen Klamotten aus unseren Koffern zusammen, putzen die besten Schuhe und machen uns auf den Weg. Natürlich haben wir schon Tage vorher gebucht. Das Hotel ist vornehm, von zurückhaltender Eleganz, die Bedienung höchster Standard, ohne steif zu sein, die Teeauswahl endlos. Wir sitzen auf der Terrasse mit Blick auf Funchal, den Hafen und das Meer und! Ein kleines Extra: ein Regenbogen, der den ganzen Nachmittag lang angesichts der Sonne von den nördlichen Bergen bis ins östliche Meer wandert. Das typisch englische Afternoon Tea Menu: Sandwiches mit Ei, Gurken, Lachs, Cheddar, Krebsfleisch und Avocado. Danach warme Scones mit clotted cream und Marmelade, als Abschluss süße kleine Kunstwerke.
Der noble Engländer nimmt ein bisschen was von allem, denn der Lunch liegt noch nicht lange zurück und das Dinner muss auch noch bewältigt werden. Da wir weder das eine gehabt noch das andere haben werden, langen wir kräftig zu und kriegen auch bereitwillig Nachschub, wodurch wir uns sofort als Proleten outen. Wurscht. Obwohl der Garten ausschließlich für Hotelgäste reserviert ist, öffnet uns ein Kellner das Tor, das von der Terrasse direkt hinunter führt, wo wir im Licht der untergehenden Sonne zwischen Palmen, Kakteen und allen Blumen, die der Januar uns gönnt, lustwandeln bzw. verdauen.
Die schönen Tage von Madeira sind nun bald vorbei und wir müssen zurück in den Winter. Es war sehr schön, es hat uns sehr gefreut!
ADEUS MADEIRA!