Funchal

Blumenfrau vor dem Mercado dos Lavradores

Bisher haben wir von Funchal nicht viel gesehen, doch die letzten Tage werden wir ganz der „Stadt der Fenchel“ widmen. Vom Mercado dos Lavradores schlendern wir durch die Rua Santa Maria mit den vergleichsweise niedrigen Häusern — es ist das älteste Viertel der Stadt, wo früher Handwerker und Fischer wohnten und das noch vor einigen Jahren ziemlich desolat war — bis hinauf zur Kirche Socorro mit einem herrlichen Blick über das Meer, zurück über das Fort Sao Tiago, einer Festung, einst gebaut zum Schutz gegen Piratenangriffe, das mehr oder weniger dem Verfall durch Wind und Meer preisgegeben wird, aber auf eigenes Risiko besichtigt werden kann. Um das Viertel aufzuwerten, gab es vor einigen Jahren eine Initiative — das “Projecto artE pORtas abErtas”—, die Türen der Häuser zu bemalen. Viele Künstler unterschiedlicher Qualität waren hier am Werk und haben mit der Zeit an die 100 phantasievolle, manchmal für die jeweiligen Besitzer und ihre Berufe bezeichnende Gemälde entworfen. Dieser bunten Vielfalt wegen hat sich die Straße zu einem Touristenmagnet gemausert, was aber den Restaurants, die sich inzwischen hier angesiedelt haben, wenig nützt. Es gibt von ihnen mehr als potentielle Gäste und die Betreiber versuchen meist vergeblich, die Vorüberziehenden anzulocken.


Jeder kann mitmachen, vorausgesetzt er hat die Zustimmung des Hausbesitzers und der Stadtverwaltung und er findet noch eine unbemalte Tür. Wäre ich noch lange genug hier, würde ich unseren Karl I. von Österreich malen, wie er, gekrönt mit einem Seligenschein (dieser ist etwas weniger strahlend als ein Heiligenschein) mit seinen zarten kaiserlichen Fingern eine Nonne von ihren Krampfadern befreit. (Ich stelle mir das ungefähr so vor, wie man den Darm aus einer Garnele zieht.)
Weiter geht es zur Kathedrale Se, wo die Prachtstraße Avenida Arriaga beginnt, in der sich auch der Sitz der Company Blandy‘s befindet, die seit über 200 Jahre Madeira Wein herstellt und exportiert. Dafür dürfen ausschließlich Trauben verwendet werden, die auf Madeira wachsen und davon gibt es an den Hängen der gesamten Küste genug. Da diese meistens steil sind, kann die Lese nur per Handarbeit erfolgen. Im Unterschied zu Portwein oder jedem anderen Wein, reift Madeira nicht in Kellern, sondern bei Raumtemperatur in Fässern aus amerikanischem Holz. Einmal in der Flasche abgefüllt behält er seine Qualität mindestens 100 Jahre. In einem Safe liegen noch ganze zwei Flaschen Jahrgang 1811, eine dritte wurde zum 200-sten Jubiläum 2011 von auserlesenen Gästen gezwitschert. Dieses „Fachwissen“ habe ich natürlich bei einer Führung erfahren, an deren Ende wir Madeirawein verkosten. Ob süß, halbsüß, trocken oder halbtrocken, man würde ihm auf den ersten Schluck nicht einen Alkoholgehalt zwischen 18 und 22% zutrauen. Es empfiehlt sich daher, ihn eher in kleinen Dosen zu genießen. Als Aperitiv, zum Käse oder als Dessertwein. Terrantez im Bild unten ist eine sehr alte, aber inzwischen sehr seltene Traube.

In einem benachbarten Park, auf einer Freilichtbühne, probt eine Fadosängerin mit ihren Musikern für ein Abendkonzert. Auf den sonnigen Bänken lauschen Einheimische und müde Stadtbummler wie wir, diesen für ganz Portugal so typischen Klängen. Einige Obdachlose schlafen hier ihren Rausch aus. Der Drogenkonsum und die damit einhergehende Kriminalität sind auch im Paradies seit einigen Jahren ein Problem.

Im Mercado dos Lavradores befindet sich auch der Fischmarkt, wo ich bereits am frühen Morgen Espada und Papageienfische eingekauft habe. Erstere haben ein furchterregendes Aussehen, ihr weißes Fleisch schmeckt jedoch hervorragend. Was wieder einmal beweist, dass es auf die inneren Werte ankommt.

Espada oder schwarzer Degenfisch

Der größte Teil des Marktes, vor allem von Freitag bis Sonntag, ist Obst und Gemüse vorbehalten. Natürlich gibt es auch Stände bzw. kleine Geschäfte mit Fleisch, Wurst, Käse und Gewürzen, sowie Bars, kleine Restaurants, Souvenirläden und Blumenstände, die fest in den Händen von älteren Frauen in Landestracht sind. Zu dieser Tracht gehören Kopfbedeckungen, die eine Mischung aus Fes und Zipfelmütze sind. (Kann es sein, dass Zipfelmützen durch die Ähnlichkeit in Name und Form mit Gipfel verwandt sind? Und daher typisch für bergige Gegenden? Oder gibt es auch in flachen Gegenden traditionelle Zipfelmützen? Jede unernste Antwort ist mir übrigens willkommen). Der Markt erinnert ein bisschen an den Wiener Naschmarkt, auch was die verhältnismäßig hohen Preise und die listigen Verkäufer betrifft. Denn normalerweise sind die Lebensmittelpreise auf Madeira niedriger als bei uns.

Zum Abschluss nehmen wir noch den Afternoon Tea im Reid‘s Palace. Es ist das berühmteste Hotel auf Madeira mit einer alten Geschichte. Schon Kaiserin Sisi ist hier abgestiegen, später Winston Churchill, Bernhard Shaw, Margret Thatcher, Charlie Chaplin und andere Hollywoodstars. Das Luxushotel liegt auf einem Felsen direkt über dem Atlantik in einem tropischen Garten.


Man erwartet, dass wir smart casual angezogen sind. Also suchen wir die noch halbwegs sauberen Klamotten aus unseren Koffern zusammen, putzen die besten Schuhe und machen uns auf den Weg. Natürlich haben wir schon Tage vorher gebucht. Das Hotel ist vornehm, von zurückhaltender Eleganz, die Bedienung höchster Standard, ohne steif zu sein, die Teeauswahl endlos. Wir sitzen auf der Terrasse mit Blick auf Funchal, den Hafen und das Meer und! Ein kleines Extra: ein Regenbogen, der den ganzen Nachmittag lang angesichts der Sonne von den nördlichen Bergen bis ins östliche Meer wandert. Das typisch englische Afternoon Tea Menu: Sandwiches mit Ei, Gurken, Lachs, Cheddar, Krebsfleisch und Avocado. Danach warme Scones mit clotted cream und Marmelade, als Abschluss süße kleine Kunstwerke.


Der noble Engländer nimmt ein bisschen was von allem, denn der Lunch liegt noch nicht lange zurück und das Dinner muss auch noch bewältigt werden. Da wir weder das eine gehabt noch das andere haben werden, langen wir kräftig zu und kriegen auch bereitwillig Nachschub, wodurch wir uns sofort als Proleten outen. Wurscht. Obwohl der Garten ausschließlich für Hotelgäste reserviert ist, öffnet uns ein Kellner das Tor, das von der Terrasse direkt hinunter führt, wo wir im Licht der untergehenden Sonne zwischen Palmen, Kakteen und allen Blumen, die der Januar uns gönnt, lustwandeln bzw. verdauen.
Die schönen Tage von Madeira sind nun bald vorbei und wir müssen zurück in den Winter. Es war sehr schön, es hat uns sehr gefreut!
ADEUS MADEIRA!

Das Rathaus von Funchal
Eine wunderschöne, lebens- und liebenswerte Stadt

Porto da Cruz und Palheiro Gardens


Eingeklemmt zwischen zwei mächtigen Felsen liegt Porto da Cruz, ein kleiner Ort an der Nordostküste. Hier weht ein anderer Wind als in Ponta do Sol. Es ist kühler, die Wellen meterhoch. Sie überschwemmen den Infinitypool, der zur Zeit verweist daliegt, und die Küstenpromenade, die um den Adlerfelsen herum führt. Zweimal hat mich auf dem Weg eine hochschießende Fontäne überraschend getauft.


Da der Ort nicht an der Sonnenseite von Madeira liegt, ist er bei Touristen weniger begehrt, daher auch weniger herausgeputzt und gepflegt. Große Hotels sucht man vergeblich. Nur die Restaurants an der Strandpromenade sind auf Touristen eingestellt, zum Nachteil der Qualität der Speisen. Wir wollten zuerst in ein kleines Restaurant mitten im Ort gehen — hier aßen viele Einheimische, was uns ein gutes Zeichen zu sein schien — , doch zuerst behauptete der kleinwüchsige Wirt, es gebe keine Plätze und als wir es zwei Stunden später noch einmal versuchten, gab es angeblich nur noch Sandwiches. Wir waren schlicht und einfach nicht willkommen. Die meisten kommen hierher, um die Rumbrennerei zu besuchen und ein Paar Flaschen hochprozentigen Aguardiente de caña zu kaufen, Hauptbestandteil des Nationalgetränks Poncha. Doch der Star des Ortes ist eindeutig die Brandung, die an die Felsen donnert und die Wellen, die schäumend den Strand überrollen. Offenbar ein Paradies für Surfer, obwohl wir keinen einzigen zu Gesicht bekommen. Im Meerwasserbecken zu schwimmen, muss in der wärmeren Jahreszeit ein Vergnügen sein, doch jetzt ist das Wasser nicht sehr einladend. Auf dem Grund haben sich schwarzer Sand und undefinierbare Schlacken abgelagert. In der alten Rumfabrik kann man die Maschinen, die Kupferkessel und die Holzfässer besichtigen, zur Erntezeit des Zuckerrohrs sogar den gesamten Produktionsprozess verfolgen. Der Zuckerrohranbau ist ein wesentlicher Wirtschaftszweig Madeiras.

Ein paar Kilometer und Tunnels weiter nördlich liegt Santana. Sehenswert sind die traditionellen mit Stroh gedeckten Bauernhäuschen, die aus zwei Räumen bestehen und früher große Familien beherbergt haben. Heute sind sie eher Museumsstücke, die in einem Park ausgestellt sind, sie gleichen wie ein Ei dem anderen. Die alten, die auch im Ort zu finden sind, werden nur noch als Schuppen benutzt. Sonst hat Santana nicht allzu viel zu bieten. Allerdings ist die Stadt Ausgangspunkt für zahlreiche Wanderungen, z.B. Levada zur blauen Lagune oder zum Pico Ruivo von der Nordseite her.



Obwohl der Januar auch in Madeira nicht zu den blühendsten Monaten zählt, finden wir in den PALHEIRO GARDENS noch genug Pflanzen und Blumen, für die wir bei uns im Blumenladen ein Vermögen hinlegen müssen. Kamelien in allen Farben, tiefrote Weihnachtssterne, Paradiesvogelblumen, Rosen, Protea, Blaulilien, Feuersalbei, Magnolien, Calla, Palmen aller Art, mächtige Platanen, Eukalyptus, Araukarien usw. Man könnte einen ganzen Tag lang in diesem weitläufigem Park mit der grandiosen Aussicht herumwandern. Am besten man käme zu jeder Jahreszeit, denn irgendwas blüht immer, jede Pflanze hat ihre Hochzeit. Zwischendurch läßt man sich im Teehaus in bequemen Korbsesseln nieder, nippt an einem Espresso, genehmigt sich eine Tartelette und schaut und schaut und schaut hinaus in Fifty Shades of Green. Heute ist das Wetter zum ersten Mal, seit wir in Funchal sind, bewölkt. Immerhin liegt der Park einige hundert Meter über dem Meeresspiegel und während es an der Küste noch einen blauen Himmelsstreifen gibt und ein gleißender Schein über dem Meer liegt, ist die Luft hier oben bereits mit einem feinen Sprühregen gefüllt. Doch was den Wanderer ein bisschen verdrießt, genießen die Pflanzen umso mehr. Sie freuen sich sichtlich über die glitzernden Tropfen auf ihren Blättern und Blüten. Dieser Park, nach englischer Art angelegt, ist nicht zu verwechseln mit dem Botanischen Garten von Funchal, der zur Zeit nicht die beste Beurteilung erhält.

Paul da Serra und Fanal Feenwald


Wer Madeiras Mikroklima hautnah erleben will, muss sich auf die Hochebene Paul da Serra hinauf bemühen und weiter ins Fanal. Auf der Bergstraße, die sich auf 1500 m hochschraubt, verlieren wir allmählich den strahlend blauen Himmel, der sich über die Südküste wölbt und tauchen in ein Wolkenmeer, das in dichten Nebel und schließlich in strömenden Regen übergeht, sodass wir vom Heidehochland so gut wie nichts sehen. Schemenhaft tauchen unvermittelt riesige Windräder neben uns auf, bevor sie der Nebel wieder verschluckt. Der anschließende Feenwald wäre zwar ohne die mystische Stimmung nicht das, was sein Name verspricht, aber die geplante Wanderung durch die alten Lorbeerwälder bis zum Vulkansee können wir vergessen. Ein starker Wind peitscht uns den Regen waagrecht ins Gesicht, sodass wir alleine für die Dauer einiger Fotos waschelnass sind. Damit muss man leider rechnen, schafft es doch kein einziger Wetterbericht, das stündlich wechselnde Wetter verlässlich zu prognostizieren. Enttäuscht bleiben wir noch eine Weile im Wagen sitzen, doch die Hoffnung, dass wenigstens der Regen aufhört, bleibt leider unerfüllt.
Doch auf der Rückfahrt durch die Serra — siehe da! — zeigt sich eine helle Stelle in der Wolkendecke, die nichts anderes als die Sonne sein kann. Langsam sehen wir, wie es um uns herum aussieht. Gräser, blühender Stechginster, Erika und Adlerfarn erinnern eher an Irland oder an die Lüneburger Heide als an eine Insel im Atlantik.


Wir beschließen, für die Rückfahrt zur Küste eine andere Bergstraße zu nehmen und kaum haben wir die höchste Ebene verlassen, öffnet sich der Himmel und gibt den Blick auf das Meer tief unten frei.


Beglückt über den jähen Wandel, der sich auf einer Strecke von nur 11 km ereignet hat, kehren wir um, in der Hoffnung, auch der Feenwald könnte plötzlich im Sonnenlicht erstrahlen. Schließlich haben laut Internet schon viele unserer Vorgänger mehrere Anläufe gebraucht, um den Fanal im günstigen Wetter zu durchwandern. Doch schon nach ein paar Kilometern verschwinden Sonne, Umgebung und Hoffnung und der Regen prasselt erneut gegen die Windschutzscheibe. Die Feen in diesem Wald sind wohl launische Wesen und uns einfach nicht gewogen. Wir haben es zumindest versucht. Zurück in die Paul da Serra, wo wir wie durch Zauberhand wieder Sonnenschein vorfinden.


Nach diesem Wechselbad der Gefühle, der Wetterereignisse und der Temperaturen kurven wir die 1500 m durch Eukalyptuswälder wieder hinunter zum Meer nach Ponta do Sol. Der Name gereicht dem Ort zu wahrer Ehre. Wir entledigen uns unserer Winterkleidung und sitzen im T-Shirt bei einem köstlichen Essen — Tintenfisch mit Chorizo, Speck und gelber Paprika — direkt am Strand, wo die Sonne auf uns herniederbrennt, als wären wir mitten im Hochsommer. Nur schade, dass wir keine Badesachen dabei haben, sodass uns nichts anderes übrig bleibt, als den Schwimmern zuzusehen. Ponta do Sol, der sonnigste Ort an der Südküste — was ihm auch die meisten Luxushotels beschert — ist ein wahres Schmuckkästchen. Die Altstadt hat trotzdem ihren ursprünglichen Charme behalten.


Ein Tag mit Nebel, Regen, Wind, Kälte und Sonnenschein, von 0 auf 1500m und wieder zurück, von gefühlten 5 auf 25 Grad. Und das alles auf einer Insel, die nicht einmal doppelt so groß wie Wien ist.

Caldeirao verde


Nach dem gestrigen Ruivo-Abenteuer ist heute ein Erholungstag am Lido von Funchal angesagt. Die großzügigen Meerwasserbecken haben eine erfrischende Temperatur, was angesichts der bescheidenen Außentemperaturen nicht für jeden ein Genuss ist, wie man auf dem Bild unschwer erkennen kann. Das Meer ist zwar etwas wärmer, doch heute zu bewegt, um ein Schwimmvergnügen zu sein. Doch ich bin ein Dezemberkind und vom ersten Augenblick meiner Geburt an musste ich die Wärme in mir selber suchen. Das Schlafzimmer meiner Kindheit konnte nicht geheizt werden, dafür hatten wir Eisblumen an den Wänden und da, wo der Atem das Bettlaken befeuchtete, war es am Morgen gefroren. Ich erwähne das nur, damit spätere Generationen wissen, wie verwöhnt sie sind. Sie sollen sich also nicht grämen, wenn es angesichts unserer Energiekrise in den Wohnungen statt 25 Grad nur 22 Grad hat. Man überlebt auch so.
So habe ich wenigstens den Pool für mich alleine. Solange die Sonne scheint, ist alles gut, doch schon am Nachmittag ziehen Wolken auf und machen dem Badeausflug ein vorzeitiges Ende.


Unterhalb des Pico Ruivo erstreckt sich über mehrere Berghänge das dicht bewaldete Tal São Jorge, der Grüne Kessel. Eine — wie könnte es anders sein — Levadawanderung führt durch ein Paradies aus Lorbeerbäumen, Nadelhölzern, Farnen, Moos, Flechten und Wasserfällen zur blauen Lagune, die von einem 100m hohen Wasserfall gespeist wird. Am Wegrand stehen noch ( oder schon) wilde Hortensien. Etwa ein Monat später werden hier dem satten Grün noch andere leuchtende Farben Konkurrenz machen. Am Ausgangspunkt der Wanderung, in 900 m Höhe, wo hübsche, strohgedeckte Häuschen stehen und in kleinen Teichen mit Wasserfällen bunte Enten und Gänse schwimmen, stehen riesige Rhododendrons. Einer davon steht schon in beginnender Blüte. Bald, so die nette junge Frau an der Bar, würden alle voll erblüht sein. Wir sind eindeutig zu früh gekommen. Ich denke an meinen Garten, wo die Blätter des mühsam gepflegten Rhododendron ein Leckerbissen für den Dickmaulrüssler geworden sind.


Doch bei aller Schönheit gilt es, eine zwar ebene, aber mindestens 13 km lange Wanderung zu bewältigen. Wieder gehen wir den größten Teil der Strecke einen engen Pfad neben dem Wasserlauf entlang, der steil in das Tal abfällt. Wie überall sind auch hier nicht wenige unterwegs, sodass es beim Treffen mit Entgegenkommenden nicht ohne Körperkontakt abgeht. Dabei ist es besonders wünschenswert, dass die Seile halten, was sie versprechen, was glücklicherweise meistens der Fall ist. Doch einige Eisenstangen brechen bereits aus ihren Verankerungen. Liegt es am Training oder an der Vegetation der Steilhänge, dass ich diesmal weniger Probleme mit der Höhe habe? Denn ein falscher Schritt auf den nassen Steinen könnte mich schnell in den Abgrund befördern. Größeres Unbehagen bereiten mir die Tunnel. Sie sind stockdunkel, eng und teilweise lang und so niedrig, dass man nur gebückt gehen kann. Den Wasserlachen kann man schwer ausweichen, weil man hineinplatscht, bevor man sie im Licht der Taschenlampe bemerkt, und auch von oben rieselt es nass. Begegnungen mit Wanderern von der anderen Seite sind dann besonders unangenehm. Auf der gesamten Länge des Weges tropft, rieselt oder fällt das Wasser von den Hängen, manchmal direkt auf den Weg, was zur heißen Jahreszeit eine willkommene Abkühlung sein mag, aber nicht unbedingt heute. Es gluckst und rauscht und plätschert. Ein totaler Kontrast zur Wanderung auf der wüstenartigen Halbinsel zur Ponta de São Lourenco.


Nach guten zwei Stunden erreichen wir das Ziel der Wanderung, die blaue Lagune. Von hier ginge es zwar noch weiter in den Caldeirao Inferno, worauf wir allerdings, schon des Namens wegen, verzichten. Leider ist der Zugang zur Lagune wegen Steinschlag gesperrt. Doch wer den langen Weg hierher geht, der will sie auch sehen. Und so klettern wir den Bach zwischen riesigen Steinblöcken die letzten 100 Meter hinauf. Wir sind selbstverständlich nicht die Einzigen, die sich dem Verbot widersetzen. Seelenruhig sitzen Wanderer inmitten des Steinschlaggerölls und essen ihre Jause mit Blick auf Wasserfall und blauen See. Uns ist es hier doch ein bisschen unheimlich, sodass wir nach eingehender Betrachtung und Ablichtung der Lagune dieselbe wieder verlassen und versuchen, den eigentlichen Weg zurückzugehen. Doch bald stellen wir fest, warum er gesperrt ist. Herabgefallene Steine haben ganze Bäume und Hänge mitgerissen, und den Weg verschüttet. Das Laub ist noch frisch, sodass der Steinschlag wahrscheinlich erst vor kurzem passiert ist. Also müssen wir wieder in den Bach ausweichen, um ein sicheres Plätzchen für unsere Rast zu finden, bevor wir den Rückweg antreten.


Auf der Rückfahrt führt eine schmale enge Straße bis zur Stadt Santana hinunter, danach eine größtenteils untertunnelte Schnellstraße bzw. Autobahn nach Funchal (sprich: Funtschl), mitunter auf gleicher Ebene wie die Landebahn des Flughafens, bzw. direkt darunter. Wie ich gehört habe, müssen Piloten, die Funchal anfliegen, eine eigene Ausbildung absolvieren. Ich bin mir nicht sicher, ob mich das beruhigt. Offenbar ist der Autopilot hier keine große Hilfe. Nun erinnere ich mich auch an unsere äußerst unsanfte Landung, deren Ursache wir, wie bereits erwähnt, in der Dunkelheit nicht gewahr wurden.

Vom Pico Arieiro zum Pico Ruivo

Blick vom Pico Ruivo auf Pico Grande

Wie immer hat mich meine romantische Naivität glauben lassen, ich wäre alleine auf der Welt und niemand außer mir hätte die Idee, sich zu dieser anstrengenden Gipfelwanderung aufzumachen. Natürlich weit gefehlt. Schließlich sollen sogar auf den Mount Everest inzwischen Kolonnen unterwegs sein. Es ist ein herrlicher Tag, die Wolken liegen unter uns und es wird mit jedem Schritt wärmer. Was nicht nur an der Temperatur liegen mag. Schaut man vom Pico Arieiro zum Gipfel des Pico Ruivo, scheint die Entfernung nicht allzu groß zu sein. Doch dazwischen liegt ein tiefes Tal, sodass der erste und längste Teil der Wanderung auf in den Stein gehauenen Treppen steil bergab führt. Meine Wanderstöcke sind keine allzu große Hilfe, weil sie auf dem felsigen Untergrund keinen Halt finden und weil ich mich gerne am Seil festhalte, dass mich vom Abgrund trennt. Doch allmählich verliere ich meine Höhenangst, sosehr beschäftigen mich die Anforderungen des Steiges und die überwältigenden Aussichten. Eine gute Therapie, noch dazu kostenlos.

Das gelbe Manderl mit rotem Rucksack bin ich

Und immer weiter hinunter. Zwischendurch enge, lichtlose Tunnel. Meine Taschenlampe ist eine kraftlose Funzel und meine Sonnenbrille verdunkelt auch diese. In den Tunneln steht Wasser, dem man kaum ausweichen kann, auch wenn man besser sieht als ich. Es tropft auch von oben. Doch wie immer gibt es Licht am Ende des Tunnels (sie wurden übrigens von Hand gegraben und gehauen). Ab und zu geht es eine kurze Strecke eben dahin oder sogar bergauf, doch meine Hoffnung, nun endlich das kniestrapazierende Bergabsteigen hinter mir zu haben, erfüllt sich nicht. Wieder endlose Treppen noch tiefer hinunter. Der Gipfel des Ruivo rückt mit jedem Schritt in weite Ferne, bzw. Höhe. Doch niemand hat gesagt, dass es einfach wird. Bis zum Gipfel soll es immerhin drei Stunden dauern. Doch mit wechselnden Aussichten auf die umliegenden Berge und auf Nebelschwaden, die langsam die Täler hochschleichen, und zwischendurch, wo die Wolkendecke aufreißt, auf das Meer und die Küstenorte, wird man für alle Strapazen belohnt.
Baumskelette, Folge des großen Waldbrandes im Jahr 2016, glänzen silbern auf dem Hintergrund grüner Vegetation und vielfarbiger Felswände.


So schmal die Steige auch sind, man muss immer wieder den Entgegenkommenden bzw. den flotteren Wanderern ausweichen. Hin und wieder begegnen wir Wahnsinnigen, die den Weg offenbar laufend zurücklegen. Vor Schweiß triefend, einen Energy Drink in der Hand, den ernsten Ausdruck der Bedeutsamkeit ihrer Leistung im Gesicht, drängen sie an uns gewöhnlich Sterblichen vorbei. Von der Schönheit dieser Berge bekommen sie nicht viel mit. Naja, zumindest tröste ich mich damit über die eigenen körperlichen Schwächen hinweg.

Bevor Touristen diese Berge für sich entdeckt haben, waren diese Wege den Hirten und ihren Schafen und Ziegen vorbehalten, selbstverständlich ohne die komfortablen Stufen und Seile. Die Kinder der armen Bauern in den Bergtälern mussten sich um die wenigen Kühe und alle anderen Tiere kümmern. Stall ausmisten, melken, füttern und auf nahrhafte Plätze führen, was oft mit Klettern verbunden war. Madeira war früher ein sehr armes Land. Da hätten sie oft den Sauerampfer gegessen, der hier oben üppig wächst, erzählt ein Einheimischer und hält mir das Kraut vor das Gesicht — hab ich als Kind auch, denke ich, sag ich aber nicht — jetzt nicht mehr, meint er, jetzt seien sie reich. Ob es ironisch gemeint war, war nicht ganz klar. Sicher hat der Tourismus dem Land Segen und auch Fluch gebracht, wenn man den Wildwuchs der Hotelklötze an der Südküste betrachtet. Wir haben uns aus diesem Grund eine ehemalige Quinta ausgesucht, früher wahrscheinlich ein Weingut. Jedenfalls steht eine alte Presse im Garten.
Ein Stück des eigentlichen Pfades ist zur Zeit gesperrt, was bedeutet, dass wir ihn mit einer zusätzlichen Fleißaufgabe umgehen müssen. Über provisorische Eisentreppen mehr oder weniger senkrecht hinunter und ebenso wieder hinauf. Für Kurzbeinige eine Qual, sind die Abstände der Stufen, wahrscheinlich aus Kostengründen, weit über dem Normalmaß. Doch mit den Schwierigkeiten wächst die Kraft. So eine Wanderung ist eine wertvolle Lebensschule, meint ein Mann hinter mir. Auch im Leben geht es immer wieder bergab und bergauf und irgendwann nur noch bergab. Wie wahr. Aber erstmal müssen wir hinauf.


Die letzte Stunde bis zum Gipfel hat es in sich. Wir treffen auf die ersten Wanderer, die sich offensichtlich überschätzt haben. Ein Bergführer steht ratlos vor einer älteren Dame, die im wahrsten Sinn des Wortes in den Seilen hängst. Ihr Mann hat es zwar bis zur Hütte unter dem Gipfel geschafft, ist aber gestürzt und muss verarztet werden. Wie man die beiden wieder ins Tal gebracht hat, frage ich mich noch immer. Die letzten Meter bis zum Gipfel kosten auch mich die restlichen Kraftreserven. Endlich geschafft. So gut hat mir selten ein Schinkenweckerl geschmeckt. Müde, aber glücklich genieße ich die Aussicht über die gesamte Insel. Es ist nicht selbstverständlich, zumal nicht zu dieser Jahreszeit, dass der Himmel hier oben wolkenlos bleibt. Oft hängen spätestens gegen Mittag die Wolken über den Gipfeln. In der Hütte kann man im Winter nicht übernachten, aber Gott sei Dank müssen wir nicht mehr denselben Weg zurückgehen, sondern es gibt einen gemütlichen Weg auf ein Hochplateau, Achada do Teixeira, wo Taxifahrer allzu bereit auf müde Wanderer warten. Zum Abschluss noch ein Poncha, ein traditionelles Getränk auf Madeira, das es ebenfalls in sich hat. Der echte enthält nämlich kein Wasser, sondern nur Zuckerrohrschnaps, Melasse, Rum und eine Limone. Saude!

Ponta de São Lourenco


Eine für Madeira untypische Landschaft. Auf dem östlichsten Zipfel der Insel, von der Baia d‘Abra bis zur Ponta de São Lourenco führt ein Wanderweg bergauf, bergab, an schroffen Felsen entlang, nahezu ohne Vegetation und ohne Schatten. Normalerweise bläst ein starker Wind, denn die Halbinsel ist von beiden Seiten dem Atlantik ausgesetzt. Auch das ist heute nicht der Fall. Es ist nahezu windstill und heiß. Und wie überall, wo es schön und außergewöhnlich ist, sind auch die Menschenmassen nicht weit. Erst auf dem letzten sehr steilen Stück hinauf zur Ponta verlieren sich die meisten. Sie ziehen es vor, sich bei der Casa Sardenha niederzulassen, bzw. mit dem Boot zurückzufahren. Auch wir kommen kurz in Versuchung, entscheiden uns aber dann doch, nach Besteigung der Ponta— die eigentlich ein spitzer, steiler Berg ist — und einer kurzen Kaffeepause die ganze Halbinsel wieder zurück zu marschieren. Von oben ist die Aussicht zum Ende der Halbinsel, wo ein Leuchtturm steht, bis zu den Inseln Porto Santo und Ilhas Desertas grandios. Auch der Flughafen ist von hier zu sehen, die Landebahn wurde auf mächtigen Betonpfeilern direkt ins Meer gebaut. Wir beobachten ankommende Flugzeuge, die zuerst am Flughafen vorbeifliegen, um dann nach einer Schleife vom Meer her zu landen. Es sieht nach einer abenteuerlichen Präzisionsarbeit aus, obwohl man natürlich weiß, dass es für den Autopiloten keinen Unterschied macht, ob er vom Meer oder von über den Häusern einer Stadt die Landebahn anfliegt. So lange die Maschine in der Luft bleibt, ist alles gut. Glücklicherweise sind wir nachts gelandet und hatten daher keine Ahnung, wie tief wir über den Wassern schwebten, bevor das Fahrwerk festen Boden berührte. Auch bei unserem Rückflug wird es gnädigerweise noch dunkel sein.
Madeira gehört zwar zu Portugal, doch meinen bescheidenen Kenntnissen nach unterscheidet sich die Mentalität der Madeirer von der der Festlandportugiesen. In Lissabon und im Alentejo war das berühmte Suadade mit den Händen zu greifen. Ich erinnere ich mich an viele traurige Gestalten mit hängenden Schultern und todtraurigem Gesicht, die den Eindruck vermittelten, als würden sie sich demnächst vor ein Auto oder die U-Bahn werfen. Liegt es daran, dass Madeira zu den Glückseligen Inseln gehört und dem milden Klima, dass die meisten Menschen hier freundlich und offen sind? Normalerweise suche ich mir immer Literatur des Landes aus, das ich bereise, um mehr über Land und Leute zu erfahren.


Es gibt zwar einen bekannten Fußballer, der von hier stammt — seinem Konterfei begegnet man auf Schritt und Tritt —, doch offenbar keine nennenswerten SchriftstellerInnen. Doch auch beim Portugiesischen Literaturnobelpreisträger José Saramago findet man Leichteres und Humorvolles. Ein Leben ohne Tod ist trotz des Titels eine unterhaltsame, phantastische Geschichte voll präziser Menschenkenntnis und feiner Ironie. Auch Die Reise des Elefanten, die sogar auf einer wahren Begebenheit beruht, kann ich als Urlaubslektüre empfehlen. Ganz nebenbei erfährt man auch viel über Portugals Geschichte.

Doch zurück auf die Insel. Heute sind wir genau eine Woche hier. Zwei liegen noch vor uns. Bis jetzt war uns der Wettergott hold.

Jardim do Mar

Durch zahlreiche Tunnels, die das Innere Madeiras wie Termitengänge unterhöhlen, kommt man in den Westen, nach Jardim do Mar, dem Garten des Meeres.

Ein kleiner Ort direkt am Meer, im Rücken geschützt durch hohe Felsen. Hier sind die Gassen so eng, dass man die Autos am Ortseingang stehen lässt. Es ist unser erster Tag mit dem Mietauto, einem schnuckeligen Fiat dolcevita. Die Straßen in Funchal erinnern an eine Hochschaubahn. Das Gefühl, sich von oben in einen Abgrund zu stürzen, ist jedenfalls genauso furchterregend. Will man nicht gleich am ersten Tag die Bremsen zuschanden fahren, bleibt einem nicht viel anderes übrig, als es den Einheimischen gleichzutun und die Karre einfach laufen zu lassen, in der Hoffnung, dass nicht ein Hund oder eine Katze oder Gott bewahre! ein Kind plötzlich auf die Straße rennen. Bergauf tut sich unser Dolcevita auch schwer und ächzt bedenklich im ersten Gang.

In Jardim do Mar zeigt sich der Atlantik schon ziemlich stürmisch. Vereinzelt sieht man Surfer auf den Wellen reiten. Eine Promenade, diesmal eine echte, zieht sich im Halbrund am Fuße des Ortes an der Küste entlang, an der vorgelagerte Betonklötze die Wucht der Wellen abfangen. Das vorherrschende Geräusch in dem kleinen Ort, das alle anderen schluckt, ist das Tosen der Brandung. Eine feine Gischt durchzieht die mit kleinen Lavakieseln liebevoll gepflasterten Gassen zwischen den schmucken Häusern. Gärten und Terrassen, wo Hibiskus, Papageienblumen, Calas und Bougainville blühen, an den Wänden gekachelte Bilder der Nossa Senhora do Rosario, die Schutzpatronin von Jardim do Mar. In einer Auslage ist eine alte Hängematte ausgestellt, mit der einst Kranke und reiche Leute, die es sich leisten konnten, über die Felsen hinauf zur nächsten Stadt getragen wurden, als es hier noch keine Straßen gab und das Meer zu stürmisch war, um es mit kleinen Booten zu befahren. Auch Priester, die zur letzten Ölung gerufen wurden, mussten getragen werden. Ein gewisser Padre Sebastiao, auch ein gefragter Organist, soll ein beachtliches Schwergewicht, gewesen sein, das den armen Trägern wohl einiges abverlangte, was ihnen hoffentlich im Himmel von Nossa Senhora vergolten wurde, denn der irdische Lohn war eher symbolisch.

MADEIRA 3.1. – 24.1.2023


Die paradiesische Blumeninsel mit dem erstaunlich milden Klima liegt mitten im Atlantik. Im Gegensatz zu meinem Besuch vor etwa 25 Jahren ist sie etwas weniger paradiesisch geworden und auch die Blumenpracht ist nicht ganz so üppig. Ersteres ist dem Fortschritt geschuldet, der auch vor dieser Insel nicht Halt macht und Autobahnen und für nahezu jeden Erwachsenen ein Auto fordert, Mietwagen für Touristen nicht mitgerechnet. Zweites liegt an der Jahreszeit. Doch wenn man bedenkt, dass es Jänner ist, kann man mit der Blumenvielfalt zufrieden sein.

Funchal, die Hauptstadt, gleicht einem Amphitheater. Die Häuserreihen kriechen bis zu 1000 m die steilen Berghänge hinauf und schauen alle auf die Bühne, den Atlantik. Unsere Apartmentanlage befindet sich ca. auf halber Höhe. Das Wetter um die 20 Grad meint es gut mit uns, die Sonne scheint, zumindest an der Südküste. Angeblich ist es im Westen und Norden öfters kalt und regenreich, aber ich glaube es nicht.


Madeira ist von Levadas durchzogen. Das sind Bewässerungskanäle, an denen entlang man wandern kann. Direkt in Funchal, neben dem Estadio Barreiros befindet sich ein Eingang zur Stadtlevada, die sich oberhalb von Siedlungen durch Bananenplantagen und Kakteenhängen schlängelt, bis sie sich schließlich nach ca. zwei Stunden Gehzeit über einem schwindelerregenden Abgrund eng an die Felswand schmiegt. Ist das Gehen auf den etwa 25cm breiten, betonierten Einfassungen der Kanäle schon nicht ganz einfach — Gehen und gleichzeitig die Gegend Betrachten ist nicht empfehlenswert, will man nicht im Wasser oder in den Kakteen landen —, so wird es an den Felsen richtig abenteuerlich. Ich bin nicht schwindelfrei und es kostete mich große Überwindung, lange Passagen mit den überhängenden Felsen über mir und dem Abgrund neben mir zu balancieren. Denn selbst die 25cm breiten Einfassungen sind aus Platzgründen nicht immer vorhanden und die Abstände zwischen den Steinplatten, die man provisorisch über das Wasser gelegt hat, werden immer größer. Zwar schützt ein Geländer vor dem Abgrund, das jedoch an einigen Stellen nicht besonders vertrauenserweckend wirkt. Etwas erleichtert war ich nur, wenn wir eine dieser Höhlen durchquerten,  auch wenn sie so niedrig waren, dass wir hindurch kriechen mussten.

Am nächsten Tag nehmen wir den Bus nach Ribero Frio. Vom Meeresspiegel kurvt der Bus auf eine Höhe von über 1400m. Es wird merklich kühler. Schon der vollbesetzte Bus lässt ahnen, dass wir hier nicht alleine sein werden. Und die Massen von Autos, die am Zielort die Straßen säumen, erst recht. Kein Wunder. Der Marsch zu den Balcoes entpuppt sich als gemütlicher Spaziergang von knapp einer Stunde, sowohl für Kinderwagen als auch für Gehbehinderte machbar. Trotz der Kolonnen, die sich auf den Weg machen, ist es eine Wanderung durch einen märchenhaften Wald, der ebenfalls, wie könnte es anders sein, eine Levada entlang führt. Es geht durch Eichen- und Lorbeerwälder, an den Ästen hängen Flechten und tummeln sich kleine hübsche Vögel, wie Buchfinken und Bergstelzen. Sogar Kanarienvögel soll es hier geben. Und die Aussicht vom Balkon ist wirklich grandios. Vor uns die höchsten Gipfel Madeiras, Pico Arieiro und Pico Ruivo. Auf der rechten Seite öffnet sich das Tal zur Ostküste. 


Die Gipfelwanderung haben wir noch vor uns. Die junge Frau an der Rezeption unseres Apartments schüttelt zwar den Kopf, als wir ihr von unseren Plänen erzählen. Offenbar traut sie uns diese Wanderung nicht zu. Nun, wir werden sehen. 


Zum Abschluss essen wir noch eine Forelle aus dem Ribero Frio in einer kleinen Bar, die wie ein Adlerhorst über dem Taleinschnitt hängt.

Heute hatten wir einen entspannten Tag geplant, doch er endete mit 9 km und 18000 Schritten. Vom Park Santa Catarina führt eine Promenade bis zur Praia Formosa, einem schwarzen Strand mit Lavakieseln und -sand. Leider entpuppte sich die Promenade, von der wir annahmen, sie ginge an der Küste entlang, über lange Strecken als Gehsteig neben stark befahrenen Straßen, da die Steilküste mit riesigen Hotelkomplexen verbaut ist. Zwar kann man sich als Fußgänger glücklich schätzen, überhaupt einen Gehsteig zu finden, denn die meisten steilen Straßen in Funchal sind zu schmal, um neben den Autos noch Platz für Fußgänger zu bieten, sodass man sich an die Häuserwände drücken muss, um nicht unter die Autos zu geraten, die mit erstaunlichem Tempo den Berg hinauf und hinunter rasen, doch ein gemütlicher Spaziergang sieht anders aus. Vorbei am Luxushotel Reid’s Palace mit der gegenüberliegenden Villa Victoria, wo der unglückselige, jedoch inzwischen selig gesprochene letzte Habsburger Kaiser Karl I. mit seiner Familie sein erstes Quartier im Exil bezogen hat.  Endlich erreicht man den Lavastrand über eine unglaublich steile Straße, die schließlich mit unzähligen Stufen bergab führt. Nun sind wir schon mal so weit gehascht, dass unbedingt ein Bad im Atlantik angesagt ist. Und tatsächlich: er ist wärmer (20 Grad!) als zur Zeit das Mittelmeer ( 18 Grad, Lt. Internet), auf alle Fälle deutlich wärmer als unser Swimmingpool beim Apartment, wo ich trotz gefühlter 17 Grad jeden Tag ein paar Runden schwimmen muss. Denn wozu ist er schließlich da. 


Leider endet der Versuch, einen bequemeren Weg vom Strand zurück auf die Straße zu finden in einer Sackgasse, sodass uns nichts anderes übrig bleibt, als uns die 128 Stufen und die steile Straße wieder hinauf zu quälen.

Ein paar Worte zum Bussystem auf Madeira. Es gibt viele Busse, die alle in Funchal Bus Terminal starten und dort enden. Klingt kompliziert, ist es auch. Nahezu jede Linie ist eine eigene Firma, sodass man beim Umsteigen jedes Mal erneut zahlen muss. Es dauert eine Weile, bis man begreift, wie das System funktioniert. Außerhalb Funchals ist es mehr oder weniger Glückssache, ob ein Bus, der nach Fahrplan kommen sollte, tatsächlich auch kommt. Das machen sich manche Taxifahrer zunutze, indem sie kurz vor der geplanten Ankunftszeit der wartenden Menge anbieten, sie für soundsoviel zurück in die Hauptstadt zu bringen. Wir haben in Ribero Frio dieses Angebot angenommen, aus Angst, bis zum späten Abend in den Bergen hängen zu bleiben. Ob der Bus gekommen wäre, werden wir nie erfahren.

Nachdem gestern kein entspannter Tag war, sollte es heute einer werden. Der Weg von unserem Quartier hinunter zum Hafen, wo eine Seilbahn zum Monte hinauf gondelt, ist schon Routine. Die Kirche Nossa Senhora do Monte ist die letzte Ruhestätte unseres letzten Kaisers, der bereits 35-jährig vor genau 100 Jahren von der Spanischen Grippe dahingerafft wurde. Vor kurzem wurde er vom Papst selig gesprochen, weil er angeblich eine Nonne von ihren Krampfadern befreit hat, als Toter, wohlgemerkt. Sein Herz liegt allerdings in der Schweiz, wohin es seine Witwe Zita mitgenommen hat. 


Nachdem wir unserer K.und K.-Geschichte Referenz erwiesen haben, haben wir die Wahl. Wieder mit der Seilbahn nach ganz unten, mit einer anderen zum Botanischen Garten — wie die Busse gehören sie ebenfalls verschiedenen Kompanien an —, oder, man ahnt es bereits, es gibt einen Wanderweg, der fast direkt zu unserem Apartment führen soll. More or less. Da ein Höhenunterschied von 800 m bewältigt werden muss, geht es natürlich steil bergab. Nach ca. 1 Km ist der Weg gesperrt. Ein Schreiben des Senhor Presidente da Camara Municipal do Funchal weist darauf hin, dass die estrutura do pavimento kollabiert ist. Was nun? Ich will nicht wieder diesen steilen Berg zurück hinauf. Wir beschließen, weiterzugehen, das Verbot des Presidente zu ignorieren. Ab nun führen ichweißnichtwieviele Treppen in Serpentinen fast zwei Stunden lang die Schlucht hinab. Es ist ein wildromantischer Weg, keine Frage, aber meine Knie wissen das nicht zu schätzen. Mit jedem Schritt müssen wir damit rechnen, dass der Weg kollabiert und dass der Weg zurück uns in die Dunkelheit führen würde, denn hier wird es abrupt und früh dunkel. Nach weiteren zwei Kilometern treffen wir auf einen ebenso verunsicherten deutschen Wanderer, der sichtlich erleichtert ist, als er uns erblickt. Nun sind wir schon zu dritt, denen womöglich ein ungewisses Schicksal bevorsteht. Tatsächlich sind einige Seile, an denen man sich festhalten kann, kollabiert, doch der Steg, wenn auch schlecht gepflegt, geht irgendwie weiter. Der letzte Kilometer ist erneut eine Herausforderung für meine Höhenangst. Wie letztes Mal führt ein schmaler Weg dicht am Felsen entlang, doch diesmal schützt kein Geländer vor dem Abgrund. Schweißgebadet, doch sicher erreichen wir schließlich das Ende der Schlucht.