PHUKET 9. – 23. Jänner 2024

Um dem grauen, nassen, kalten, ungemütlichen Wetter in Mitteleuropa zu entkommen, überlege ich nicht lange, als mir eine Freundin anbietet, sie in Phuket zu besuchen. Die Bilder vom Haus ihres Bruders tun ihr Übriges. Gästezimmer mit Blick aufs Meer, Swimmingpool und 35 Grad. Was will frau mehr.

Beim Anblick dieses herrlichen Anwesens habe ich die schlaflose Strapaze der Anreise augenblicklich vergessen. Ich bin dem großzügigen Hausherrn — der übrigens nicht anwesend ist — sehr dankbar, dass er mir, die er nur als Kollegin seiner Schwester flüchtig kennt, sein Paradies samt Personal zur Verfügung stellt. Letzteres serviert mir auf meinen ausdrücklichen Wunsch thailändisches Frühstück. Heute gab es scharfe Hühnersuppe und geräucherten Fisch mit Reis.

Außerhalb dieses Luxusortes ist die thailändische Welt weniger attraktiv. Phuket, so scheint es mir auf den ersten Blick, ist dicht besiedelt. Und abgesehen von den Villen der Reichen, die fast ausschließlich Ausländern gehören, habe ich bisher weder eine schöne Landschaft noch ansprechende Häuser gesehen. Der dichte Verkehr tut sein Übriges. Für 15 km brauchen wir 40 min, um die Insel von Ost nach West zu durchqueren. Kolonnen von Autos, Millionen von Mopeds, Tuk-Tuks, Pickups — auf deren Ladefläche Wanderarbeiter wie Vieh zur Arbeit gekarrt werden, für die sie, wenn sie Glück haben, schlecht bezahlt werden — und mutige Fußgänger bevölkern die Straßen, deren Zustand durch zahlreiche Baustellen zusätzlich leidet. SUVs sind gegen die wendigen Mopeds im Nachteil, allerdings lebt man in ihnen weniger gefährlich. Auf letzteren sitzen in der Regel zwei Erwachsene und zwei Kinder, meistens ohne Helm. Dementsprechend hoch ist die Unfallquote mit tödlichem Ausgang. Und dementsprechend groß —verständlicherweise — der Hass oder Neid auf die reichen Ausländer. Beispiel: ein SUV touchiert im Verkehrsgewühl ein parkendes Motorrad. Es fällt um. Sofort laufen alle Umstehenden zusammen. Es wird heftig diskutiert, geschimpft, geschrien und mit der Polizei gedroht. Das deutsche Ehepaar steigt aus, um den Schaden zu besichtigen. Selbstverständlich werden ihm nun sämtliche Blessuren angedichtet, die das Moped im Laufe seines langen Lebens abbekommen hat. Der Mann protestiert, die Frau erfasst die Situation schneller und fragt, um die Sache abzukürzen und sowohl Polizei wie die folgende stundenlange Vernehmung und möglicherweise noch größeren Schwierigkeiten zu verhindern: wieviel? Dann zahlt sie, ohne zu murren und tut gut daran. In solchen Situationen kam es schon zu tätlichen Auseinandersetzungen.

Noch nervenaufreibender die Fahrt in den Süden. Der Abstecher auf einen Berg, auf dem der Große Buddha thront, lässt erahnen, wie schön die Insel an manchen Stellen noch immer sein kann. Doch kaum erreicht man die monströse Statue, gewinnen eine Flut von Touristen und zahlreiche Verkaufsläden wieder die Oberhand. Und Russen, wohin man schaut und hört. Russisch ist in Thailand inzwischen die zweite Fremdsprache nach Englisch. Während viele ihrer Landsleute an der Front krepieren, frönen sie hier schamlos dem Dolce Vita und benehmen sich wie die Herrscher der Welt. Auch am Strand, den wir schließlich erschöpft und schweißgebadet erreichen, glaubt man sich am Schwarzen Meer. Die Frauen mit prallen Lippen und Brüsten, die Männer mit prallen Bäuchen und Brieftaschen.


Der Strand Nai Harn ist schön, aber voll. Erst am nächsten Morgen, als wir schon um halb acht aufbrechen, können wir ihn genießen. Wir haben bei Freunden meiner Freundin übernachtet, die schon viele Jahre in Phuket wohnen. Auch sie bedauern die Entwicklung, die die Insel in den letzten Jahren genommen hat. Es ist ihnen bewusst, dass sie daran mitgewirkt haben.

Und ich? Ich bin von wohlhabenden Menschen eingeladen worden, genieße den Luxus, beschwere mich über den Verkehr und bedaure ebenfalls, dass so wenig „Authentisches“ übrig ist. Auch als ich später von einer nicht weniger wohlhabenden Familie auf eine Katamaran Tour eingeladen werde, bin ich froh, dem Chaos auf den Straßen zu entkommen und auf dem Meer bei Lunch und Weißwein die bilderbuchschöne, thailändische Inselwelt zu erkunden.


Die Straßen in den Norden der Insel scheinen weniger befahren zu sein. Hier stehen noch die kleinen bunten Häuser der Thai, umgeben von viel Grün und Hainen von Kautschukbäumen. Offenbar war diese Gegend für die Auswanderer nicht so begehrt. Nicht allzu weit von unserem Domizil entfernt trifft man auf Urwald und einen Wasserfall. Hier sind nur wenige Touristen unterwegs, das mag am Eintritt von 400 Baht ( ca. 10 €) liegen. Ungewohnt hoch in diesem Land, wo man es gewohnt ist, alles um mindestens die Hälfte billiger zu bekommen.

Chinesische Livingstonepalme

Lastwagenradgroße Palmblätter und riesige Bambusstauden säumen den Waldsteig hinauf zum Wasserfall. Es ist tropisch feucht, aber erträglich heiß. Tierische Laute unbekannter Herkunft erfüllen die Luft. Am Zielort stürzen wir uns in frisches, kühles Wasser. Dort lernen wir auch ein russisches Ehepaar kennen. Wie immer sind einzelne Menschen so nett, wie in der Masse unerträglich. Als er erfährt, dass wir aus Österreich kommen, geht sofort ein strahlendes Lächeln über sein breites Gesicht. Sein Präsident, sagt er, liebe Österreich. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll. Was Putin liebt, will er möglicherweise auch haben. Dank des Kniefalls von Frau Kneissl profitieren wir jetzt offenbar davon, aus „Avstria“ zu kommen. Ich lenke das Gespräch auf die russische Literatur, erwähne natürlich nur die Klassiker und keinen Sorokin, er meint, wir müssen unbedingt nach Russland kommen, die Menschen seien so gastfreundlich, ich sage, das kann ich bestätigen, ich war ja schon dort, Russland ist ein schönes großes Land, wirbt er, ja, sage ich, nach dem Krieg komme ich vielleicht wieder, er meint, nein, nicht warten bis der Krieg zu Ende ist, jetzt… ich spüre, dass er darunter leidet, dass der Ruf seines geliebten Landes und Präsidenten schwer gelitten hat. Nun ja, dem Manne kann leider nicht geholfen werden.

Das Ma Doo Bua Café mit den größten Lotusblumen aller Arten ist nicht nur bei Touristen beliebt, sondern auch bei wohlhabenden Thais. Die Schlange, die darauf wartet, sich auf dem Steg, der in den Lotusteich hineinragt, oder in einem Boot von oben per Drohne fotografieren zu lassen, ist lange. Ob langhaarige, russische Blondinen oder Thaimädchen mit üppiger Haarpracht, sie alle haben die Posen der sozialen Medien gut studiert. Sie werfen den Kopf nach hinten, schütteln ihre Haarmähnen, öffnen leicht die Lippen und strecken den Po raus. Indische Bräute in Saris und muslimische Frauen mit Kopftuch präsentieren sich weniger aufreizend, doch ebenso ausgiebig. Sogar schon kleine Mädchen wissen, wie man sich sexy in Szene setzt. Die Männer sind nicht weniger eitel. Vergeblich konkurrieren sie allerdings mit der natürlichen Schönheit der riesigen Blätter der Victoria Lotusblumen und den hübschen roten Häusern.

Thailand, das Land des Lächelns, sollte vielmehr das Land der Massagen genannt werden. Keine Straße, kein Strandabschnitt, kein Einkaufszentrum, wo man nicht auf mehrere Einrichtungen von unterschiedlicher Qualität trifft. Von primitiven Unterständen bis zum Luxustempel ist alles vorhanden. Kaum ein Tourist, der sich die günstigen Behandlungen entgehen lässt. Ich selbstverständlich auch nicht.
Als ich mich in Phuket Town in einem Salon, der mir empfohlenen wurde, nach einem Termin erkundige, fragt mich die Empfangsdame, ob es auch ein Mann sein kann. Bisher wurde ich zwar ausschließlich von Frauen massiert, aber da ich nicht lange warten wollte, war ich einverstanden. Man bat mich, die Schuhe vor der Tür abzustellen und kurz Platz zu nehmen und servierte mir ein kaltes Getränk und ein zusammengerolltes heißes Handtuch. Der Laden war gut besucht. Einige Minuten später stand der Mann vor mir. Hätte man mir nicht gesagt, dass es sich um einen Mann handelt, hätte ich ihn auf den ersten Blick für eine Frau gehalten. Das hüftlange Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sein Busen war nicht zu übersehen und seine Stimme hätte genauso gut eine Frauenstimme sein können. Kein Zweifel, mein Masseur war ein Ladyboy. Das sind Frauen, die als Mann geboren wurden. Die schönsten Frauen Thailands, so sagt man, sind die Ladyboys. Offenbar war dieser hier noch auf halber Strecke zu seiner vollkommenen Verwandlung. Erst als ich ihm in die Kabine folgte, fielen mir seine breiten Schultern und sein hoher Wuchs auf. Hätte mir die Klimaanlage nicht eisige Luft auf meinen nackten Körper geblasen, hätte ich die Massage noch mehr genießen können.
Der sonntägliche Nachtmarkt in Phuket Town ist ein Muss. Er erstreckt sich auf zwei Straßen in der Altstadt, die zum Unesco Kulturerbe zählt. Um fünf Uhr Nachmittag macht es noch Spaß, sich durch die überwältigende Auswahl an kulinarischen Angeboten zu kosten. Satay — Spieße mit Huhn oder Schwein —, Pad Thai — Nudelgerichte mit Huhn oder Scampi —, gebackene Frühlingsrollen, gedämpfte Teigtaschen mit allen möglichen Füllungen, gerösteter Tintenfisch, frittierte Bällchen, in denen sich verschiedene Farcen oder Bananenmus versteckt, gegrillter Jellyfish und köstliche Süßigkeiten wie Sticky Mango Rice, um nur einige zu nennen. Jellyfisch nennt man die Riesenquallen, die ich schon vom Boot aus im Meer gesichtet habe. Ihr Fleisch soll sehr proteinhaltig sein. Natürlich muss ich es probieren. Es ist knackig, im Übrigen ziemlich geschmacklos, wenn man nicht ein scharfe Sauce drüber schüttet.
Neben den aufgebauten Ständen, an denen neben Essbarem auch jede Menge nützliche und überflüssige Dinge angeboten werden, aber auch handgefertigte schöne Souvenirs — Taschen aus Gummi, Stroh oder auch Papier, Tabletts mit Muschelintarsien, handgeschnitzte Seifenstücke in liebevoll bemalten Schachteln — haben natürlich auch die angrenzenden Geschäfte geöffnet.
Alle paar Meter gibt es musikalische Aufführungen. Hier singt ein fülliger Thai-Elvis in hellblauer Kluft, dort präsentieren sich Kinder mit Popmusik, etwas weiter ein blondgefärbter Thaijunge, der hervorragend Saxofon spielt, danach ein alter chinesischer Rocker, sogar eine Gruppe aus Bali bietet traditionelle Gamelan-Musik.
Allmählich füllen sich die Straßen mehr und mehr, irgendwann ist es fast unmöglich, sich durch die Menge einen Weg zu bahnen. Es dampft und raucht und brutzelt und brummt und schreit und singt und tönt und scheppert und schmatzt, dass es eine wahre Freude ist. Irgendwann ist mein Magen überfordert und meine Reizschwelle erreicht.

Vierzehn Tage sind natürlich zu wenig, um eine kleine Insel geschweige denn ein Land kennenzulernen. Vieles war schön, einiges interessant, manches traurig, anderes hat mich nachdenklich gemacht. Wieder einmal habe ich festgestellt, dass ich zu den Privilegierten dieser Welt gehöre, auch wenn ich nicht vermögend bin wie diejenigen, die mich eingeladen haben. Hier gibt es sehr viele sehr arme Menschen. Auf der Straße vor der Gated Community, in der sich die Villa befindet, bin ich jeden Tag einer alten Frau begegnet, die einen großen Sack auf ihrem krummen Buckel mitschleppte. Ich vermute, sie sammelt Müll, um sich ein paar Baht zu verdienen.

Lotusblüte

Sie hat es geschafft. Bei meiner Ankunft eingepflanzt, öffnete sie sich kurz vor meiner Abreise