Lipari/Stromboli

Blick vom Monte Rosa auf Canneto

Am letzten Tag meines Aufenthaltes auf Lipari entschließe ich mich, den Monte Rosa, der Lipari Stadt von Canneto trennt, zu besteigen. An Wanderern scheint man auf der Insel nicht sehr interessiert zu sein, denn entgegen den Ankündigungen im Internet, welch wunderbare Wanderwege es hier geben soll, erzählen die Menschen  etwas anderes. Die Wege seien zwar vorhanden, aber schwer zu finden, weil sie größtenteils zugewachsen sind. Der Monte Rosa wird in den Prospekten erst gar nicht erwähnt. Ich versuche es trotzdem. Bis zu den wenigen Häusern, die an den Hängen liegen, sind die Wege gepflastert. Danach muss ich raten, denn Hinweisschilder sind ebenfalls nicht vorhanden. Das Gipfelkreuz, das man von beiden Orten sieht, gibt mir die Richtung vor. Und anfangs scheint der Weg gar nicht so schlecht zu sein, obwohl er alles andere als gepflegt ist. Die wilde Vegetation auf beiden Seiten gibt nur manchmal den Blick auf das Meer und die Küsten frei. Nach einer Weile geht es wieder bergab — habe ich doch die falsche Richtung eingeschlagen—? , doch es ist nur eine Senke, bevor der Pfad wieder ansteigt. Dann wird er zunehmend von Pflanzen überwuchert. Doch Fußspuren zeigen mir, dass hier immerhin mal Menschen unterwegs waren. Jede Menge Geckos kreuzen meinen Weg, in einem Spinnennetz hängt eine riesige Spinne, unter mir kreisen Möwen. Ich meine mich zu erinnern, dass in der Kapelle auf dem Gipfel einmal im Jahr eine Messe zu Ehren irgendeines Heiligen gelesen wird. Das scheint aber lange her zu sein. Die Kapelle ist dann auch eine herbe Enttäuschung. Ein schmutziger Betonklotz ohne jeden Charme, das Gipfelkreuz eine hässliche Eisenkonstruktion, die Umgebung alles andere als einladend. Schade, dass die Stadt sich nicht mehr Mühe gibt. Wenigstens die Aussicht ist schön. Auf dem Rückweg begegnen mir dann doch ein paar Touristen. Ich fotografiere wenigstens einige Pflanzen, die mir fremd sind, um sie dann mit einer App zu bestimmen. 


Heute verlasse ich Lipari und fahre mit dem ersten Aliscafo nach Stromboli.  Schon am Hafen werben mehrere Bootsbesitzer für ihre Touren. Sie bieten alle das Gleiche an. Eine nächtliche Tour zur Sciara d‘un Fuocu und eine Inselrundfahrt. Doch zur Zeit ist es nicht selbstverständlich, eine Tour zu buchen. Es gibt offenbar nicht mehr genügend Interessenten und wenn es nicht mindestens 5 Personen sind, dann wird es sehr sehr teuer. Frank hat die nötige Anzahl schon zusammen. Allerdings, so gibt er zu bedenken, ist es keineswegs sicher, dass wir das Feuer, das der Stromboli alle 10 bis 20 Minuten ausspuckt, überhaupt sehen. Oft, wahrscheinlich sogar meistens, bilden sich um den Krater Wolken. Nun gut, die regelmäßig aufsteigende schwarze Rauchfahne sieht man auch von hier. Aber natürlich will ich das Feuer sehen und am besten die glühende Lava, die über die Sciara d‘un Fuocu ins Meer strömt. Es ist also Glücksache. Wie alles im Leben.

Wandmalerei am Hafen


Mein Apartment befindet sich in einem alten Haus nahe am Hafen und ist sehr liebevoll eingerichtet. Allerdings ohne Wifi. Von der Rezeption bekomme ich den Rat, zu relaxen. Wozu brauche ich Internet. Nun, das Hotel hat mit Sicherheit eines, läßt seine Gäste aber nicht teilhaben. Überhaupt scheint hier ein anderer Wind zu wehen. Schon am Vortag wurde ich aufgefordert, das Zimmer zu bezahlen, ansonsten wäre die Reservierung hinfällig. Man stelle sich vor, ich hätte auch auf Lipari kein Internet gehabt und von dieser Aufforderung nichts gewusst. Morgen um 10h muss ich das Apartment wieder verlassen. Danach gilt es, die Zeit, bis mein Schiff nach Napoli um 22h ablegt, irgendwie zu füllen. Den Ort habe ich schon am Ankunftstag ausgiebig besichtigt. Eigentlich dachte ich, ich könnte eine Tour um die Insel machen, aber: siehe oben. Ein erster Rundgang macht klar, Stromboli ist teuer. Man lässt sich den Vulkan bezahlen. In den verwinkelten Gassen der Altstadt erkennt man noch andeutungsweise die alten Gassen aus dem Film Stromboli von Rossellini. Allerdings sind sie nicht mehr so düster und abweisend, sondern leuchtend weiß und ähnlich wie auf Panarea, mit üppiger Blumenpracht geschmückt. Zumindest in der engen Hauptstraße, in der ein reger Verkehr von Scootern und dreirädrigen kleinen Lastautos die Fußgänger an die Hauswände drängen. Der Film ist übrigens überall gegenwärtig. Ihm verdankt Stromboli schließlich den Aufstieg von einem unbedeutendem Fischerdorf zu einem Touristen Hotspot. Mein Apartment heißt natürlich Ingrid House und an den Wänden wie im ganzen Ort hängen Plakate und Bilder von Ingrid Bergmann. Ich habe mir gestern noch einmal den Film auf YouTube angesehen. Er ist wirklich ein Meisterwerk und die Bergmann eine großartige Schauspielerin.

Marterl mit Blick auf Strombolicchio

Leider ist das Museo del Cinema geschlossen. 

Ich sitze auf der Terrasse meines Apartments und beobachte den Vulkan. Wolkenfrei ist er leider nicht, aber wie kann er das überhaupt sein, wenn ständig Aschensäulen hochsteigen? Bilde ich mir das ein oder riecht es tatsächlich nach Feuer?

Ohne Worte

Um sechs ist es soweit. Zu siebt steigen wir mit Frank in ein großes Schlauchboot. Es ist noch hell, kurz vor Sonnenuntergang. Zuerst geht es zum Strombolicchio. Ein wuchtiger, zerklüfteter Felsbrocken, der der Insel vorgelagert ist, mit bizarren Formationen. Dann tuckern wir gegen den Uhrzeigersinn auf die andere Seite der Insel, dem Sonnenuntergang entgegen, bis zur Sciara. Das ist die „Straße“, die die Lava zum Meer nimmt. Solange kein großer Ausbruch bevorsteht, sind die zwei Orte auf Stromboli in Sicherheit. Rauch steigt aus allen fünf Kratern und türmt sich auf in den Himmel. Bald sind die ersten Flammen zu sehen, die sich aber vom noch zu hellen Hintergrund wenig abheben.


Wieder einmal verfluche ich mein Handy, alles wird unscharf, sobald ich näher ranzoomen will. Warum bin ich nur zu faul, eine richtige Kamera mitzunehmen, mit der man ordentliche Fotos machen kann? Langsam wird es dunkel und am Hang entlang blinken kleine Lichter. Das sind die Tapferen, die den Aufstieg von drei Stunden in Kauf nehmen, um dem Krater nahe zu kommen. Bis ca. 200m darf man alleine gehen, danach nur noch mit Führer. Allerdings auch nur bis zu einer Höhe von 400m. Der Vulkan selbst ist knapp 1000m hoch. Seit einem größeren Ausbruch im Jahr 2019 ist die Gefahr, von ausgespuckten Gesteinsbrocken erschlagen zu werden, zu groß. Das Risiko, den Gewaltmarsch auf mich zu nehmen ( vom Abstieg in totaler Finsternis ganz zu schweigen) und dann vielleicht wegen der Wolken nichts zu sehen, wollte ich nicht eingehen. Da sitzt es sich im Boot wesentlich bequemer. Keiner spricht ein Wort. Wir schauen alle gebannt auf IHN, die Kameras bzw. die Handys im Anschlag. Und wir kommen auf unsere Kosten. Aus den bescheidenen Flammen werden immer länger andauernde Feuer, bis sie schließlich sprühend und mit einem dumpfen Knall explodieren und sogar Lava im oberen Bereich hinunterfließt. Jedesmal schreien wir begeistert auf und vom Berg herunter ertönt wie ein Echo das gleiche Aaahhh!!! Ich habe mein Handy schon lange weggesteckt und schaue mit offenem Mund auf dieses grandiose  Schauspiel. Warum ist das so faszinierend? Solange diese Eruptionen halbwegs gemäßigt bleiben und die austretende Lava den gewohnten Weg über die Sciara nimmt, ist der Stromboli eine Touristenattraktion, von der die etwas über 400 Einwohner der Insel gut leben. Aber wehe, wenn ER sich nicht mehr dran hält. Dann ist es vorbei mit dem wohligen Schauer in Sicherheit, dann wird ein großes Geschrei sein und keiner wird mehr die Kamera zücken, sondern in Panik verfallen und um sein Leben rennen, bzw. schwimmen. 
Nach etwa einer Stunde, die wir staunend und schaukelnd in den Wellen verbracht haben, fahren wir wieder zurück in den Hafen. Ich lege mich auf den Boden des Bootes und schaue in den Sternenhimmel, der von keiner Lichtquelle gestört wird. Es ist Neumond.

In meinem Apartment geschehen seltsame Dinge. Ein plötzlicher Schlag gegen die Tür und dann ein heftiges Rütteln. Mehrmals öffne ich, weil ich draußen jemanden vermute. Doch niemand ist zu sehen. Alles ist dunkel und still bis zur nächsten Erschütterung. Sollten das die Druckwellen der Vulkanausbrüche sein? Ich schließe die Tür zum Schlafzimmer, um nicht im Schlaf gestört zu werden, doch auch diese Tür wird in regelmäßigen Abständen gerüttelt. Ein Erdbeben? Aber dann müsste ja der ganze Raum wackeln. Es ist nicht einfach, auf einem aktiven Vulkan zu schlafen.


Der Gedanke, zehn Stunden ohne Bleibe zu sein, angesichts der vielen geschlossenen Restaurants bzw. deren Preise, beschließe ich, noch bis zum Abend das Apartment zu behalten und draufzuzahlen. Leider ist das Ingrid House reserviert. Man bietet mir stattdessen für 70 Euro ein anderes Zimmer in einer Dependance des Ossidiana an, das ich frühestens um Eins beziehen  und bis Neun Uhr benützen könnte. Der Preis ist nicht gerade wenig für die paar Stunden, und als ich das Zimmer sehe, eindeutig überbezahlt. Ein billige Absteige in einem Betonbunker, in der es penetrant nach Putzmittel stinkt. Der Garten entpuppt sich als ein von Betonmauern umgebener Innenhof, in dem sich ein leeres Wasserbecken und ein morscher Liegestuhl befinden. An einer Wand mehrere Duschkojen mit verfärbten Kacheln, die wie Pissoirs aussehen. Vor dem Eingang Plastiksäcke, prall gefüllt mit Müll.
Zu allem Übel steht nicht fest, ob Frank genug Leute für den Trip um die Insel zusammen bekommt. Am Hafen baggert seit dem frühen Morgen ein Kran irgendetwas aus dem Wasser. Die Baustellen scheinen mich zu verfolgen. Der Strand ist lang, schwarz und steinig und sich selbst überlassen. Nach dem Motto: wir haben das schönste Meer der Welt, wer braucht da schon einen Strand. Kein bisschen Schatten weit und breit. Was mache ich bloß hier? Einen kurzen Spaziergang und beten, dass ich auf das Boot komme. Als ich wieder zum Hafen zurückkehre, winkt mir Frank aufgeregt zu. Es haben sich noch drei Personen angemeldet und er wird fahren. Es sind ein Ehepaar aus dem Burgenland und eine ehemalige Burgenländerin, die in Palm Beach lebt. Erste Station Ginostra.

Ginostra


Das Dorf liegt hoch über einer aus gigantischen Steinbrocken bestehenden Felswand, an der Arbeiter an Seilen hängen, Gott weiß was sie da vorhaben. Den Ort vor dem Abrutschen bewahren? Eine gepflasterte Serpentine führt hinauf in das Dorf. Hier erfasst mich erst recht der Inselkoller. Wie gut kann ich Karin alias Ingrid Bergmann im Film Stromboli verstehen. Der Ort, über dem der Vulkan droht, besteht aus einer Kirche, ein bis zwei kleinen Läden, vor denen einige Katzen in der Sonne dösen, einer Bar und einem Restaurant, selbstverständlich geschlossen. Ein paar Häuser. Sonst nichts. Nicht einmal fließend Wasser. Das muss hierher gebracht werden. Nicht zu vergessen ein paar Baustellen, auf denen Männer mit verstaubten Gesichtern und verbranntem Oberkörper arbeiten. Sie erinnern an Karins Ehemann Antonio, un uomo semplice.

Strombolicchio


Ich bin froh, als wir wieder auf dem Meer sind. Im tintenblauen Wasser am Strombolicchio werde ich das klaustrophobische Gefühl wieder los.
Zurück im Hafen. Die 70€ hätte ich mir sparen können, denn in dem Loch halte ich es nicht aus. Also sitze ich am Strand und schreibe diese Zeilen. Am Abend werde ich mich meinen Landsleuten anschließen und zum Observatorium wandern. Von dort soll man noch einmal einen schönen Blick auf die Krater haben. Was wäre Stromboli ohne seinen Vulkan und das Meer. Und ohne Rossellini.

Um 22h verlasse ich die Äolischen Inseln und fahre zurück nach Neapel, wo die Erde hoffentlich nicht bebt und der Vesuv Ruhe gibt. Noch lange begleitet uns das Feuer des Stromboli.

Lipari/Salina/Panarea

Masken der Tragödie: Priamus, Deiphobus, Paris und Cassandra
Euripides
Masken der Komödie

Das archäologische Museum auf der Akropolis in Lipari ist so reich bestückt, dass sie damit noch ein paar weitere Museen damit glücklich machen könnten. Man bekommt einen Eindruck von der langen Geschichte dieser Inseln, von den Hütten der Eisen- und Bronzezeit bis zur griechisch-römischen Hochblüte, vom Mittelalter bis heute. Offenbar sind die heutigen Touristen nicht die ersten, die dem Charme und der Schönheit dieser Vulkanfelsen im tyrrhenischen Meer erlegen sind. Man fand bisher 3000 Gräber aus der hellenistischen und der römischen Zeit, Sarkophage aus Ton, Holz oder Stein mit kostbaren Grabbeigaben. Diese Sammlung ist eine der umfangreichsten in ganz Sizilien. Immer wieder stehe ich staunend vor der Kunstfertigkeit der Keramiken und Töpferarbeiten, der Figuren, Schmuckstücke und Bronzearbeiten.

Vase mit schwarzem Lack und Bemalung
Sarkophage
Transportgefäße von Schiffen


Die Stadt Lipari, vor allem die Via Garibaldi, ist voll mit deutschen und Schweizer Touristen, obwohl die Saison ihrem Ende zugeht. Nach einem kurzen Streifzug weiß ich es erst richtig zu schätzen, dass ich in Canneto wohne, auf der anderen Seite des Monterosa. Hier kann ich mir einbilden, keine Touristin zu sein, sondern nahezu eine Einheimische. Im Supermarkt, beim Bäcker und in der Bar kennt man mich schon. Mit einer Tasse Tee erwarte ich den Sonnenaufgang auf meiner Terrasse, dann gehe zum Strand und schwimme der Sonne entgegen. Währenddessen erwacht das Dorf. Die Glocke der Kirche bimmelt zur Stunde ein Lied, die Geschäfte schieben ihre Rolladen hoch, die Mamas tragen die frische Ciabatta nach Hause, die Kinder schlendern gähnend und lustlos der Schule entgegen, in der Bar trinken die ersten Einwohner ihren Café, auf einer Bank sitzen alte Männer in der Morgensonne. Ich kaufe ebenfalls eine Pantoffel ( so die wörtliche Übersetzung von Ciabatta) und irgendeine dieser typischen Frühstückssüßigkeiten. Um zehn wird mich Giovanni abholen, um mir auf einer Rundfahrt die Insel zu zeigen. Dummerweise habe ich nämlich meinen Führerschein zuhause vergessen.
Außer Lipari gibt es noch vier bis fünf Orte auf der Insel, von denen die meisten am Meer liegen. Nördlich von Canneto hat man bis vor 10 Jahren noch Bimsstein abgebaut, der in alle Welt verschifft wurde, aber der Abbau irritierte irgendwann das vulkanische Gestein zu sehr, sodass man beschloss, den Steinbruch stillzulegen. In den Bergen liegen verstreut Häuser. Außer ein paar Olivenbäumen bei einer Kapelle mit großartiger Aussicht auf die Insel Salina wirft die Landwirtschaft nicht allzuviel ab. Umso überraschter bin ich, als wir auf einer Hochebene plötzlich auf ausgedehnte Weinfelder treffen. Und der Wein, den wir in der Vinothek verkosten, schmeckt noch dazu hervorragend, sehr speziell, das muss die vulkanische Erde sein.


Hoch über Lipari steht das Observatorium. Hier werden die Aktivitäten aller Vulkane genauestens aufgezeichnet, um rechtzeitig vor gefährlichen Ausbrüchen zu warnen. Ich hoffe, sie irren sich nie. Die eigentliche Sensation dieser Rundfahrt sind jedoch die Aussichten, die man auf die Küsten und umliegenden Inseln aus unterschiedlicher Perspektive hat.

Vulcano vom Observatorium auf Lipari aus gesehen

Panarea ist eine wirklich schmucke Insel. Blendend weiße Villen und eine üppige Blumenpracht. Bougainville in allen erdenklichen Farben, Franchipani, Orchideen, Kamelien, Bleiwurz, Kakteen, Palmen…vom Hafen geht ein schön gepflasterter Weg durch die Gassen des Ortes bis an einen schönen Sandstrand, von dem eine Treppenserpentine den Berg hinauf bis zur Südspitze führt, auf der noch Reste eines Dorfes aus dem 14. Jhrdt.v.Chr. zu sehen sind. Es gibt keine Autos hier, nur hin und wieder Scooter, doch die meisten kommen sozusagen auf leisen Reifen daher, sodass die Stille kaum gestört wird. Im Sommer sieht es hier wohl anders aus. Dann kommen die Besitzer dieser exklusiven Villen auf die Insel, entweder in ihren Jachten oder mit dem Hubschrauber und in den angesagten Bars feiern die Schönen und Berühmten sich selbst. Jetzt sind die blauen Holzläden geschlossen. Auch die weniger Wohlhabenden können sich nun ein Hotel leisten. Und späte Touristen wie ich schlendern durch das verlassene Dorf, in dem es nur wenige Einheimische zu geben scheint.

Panarea

Santa Marina auf der Insel Salina ist ähnlich ausgestorben. Noch dazu ist heute Sonntag und Mittagszeit. Im Restaurant bin ich die längste Zeit der einzige Gast. Gerade jetzt im Oktober, bei 24 Grad im Schatten und im Meer, jetzt, wo es richtig angenehm wird und eigentlich immer noch genug Touristen unterwegs sind, sollten doch Restaurants und Hotels voll sein, müsste man meinen. Doch auch in meinem Apartmenthotel in Canneto bin ich heute ganz alleine.

Milazzese. Reste von Rundhütten aus dem 14. Jhrdt.v.Chr.

Lipari/Vulcano


Um sechs Uhr bin ich in meiner Kabine aufgewacht. Ein Blick auf die Uhr sagt mir: wir haben auf Stromboli angelegt! Weste übers Nachthemd, rein in die Sandalen und rauf an Deck. Da erhebt er sich direkt vor meinen Augen. Der Stromboli. Einer der aktivsten Vulkane Europas. Eigentlich sieht er ganz harmlos aus. Gebannt schaue ich auf den Gipfel, denn alle 10 bis 20 Minuten soll es eine Eruption geben. Doch nichts passiert. Sollte ich zu nahe sein? Oder sieht man von hier gar nicht den Krater? Ich muss warten, bis wir wieder ablegen und etwas Distanz zu ihm haben. Doch einige Minuten später hüllt sich der Gipfel in Wolken. Nun ja, auch Vulkane haben ihre Launen. Aber auf der Rückfahrt nach Neapel werde ich zwei Tage auf der Insel verbringen und dann wird er wohl so nett sein und sich in seiner vollen Macht zeigen.

Der morgendliche Stromboli

Die Venus steht schon hoch im Osten, der Mond im Zenit und die Erde dreht sich unaufhörlich der aufgehenden Sonne entgegen. Nächste Stationen: Panarea und Salina. Panarea ist die kleinste der sieben Äolischen Inseln und die exklusivste. Die Insel der Reichen und Berühmten. Hier gibt es keine Autos, sondern nur elektrische Gefährte, die wie Golfcaddies aussehen. Ein paar weiße Villen, sonst ist vom Schiff aus nicht viel zu sehen. Vielleicht werde ich mal von Lipari aus einen Nachmittag hier verbringen. Salina ist die nach Lipari zweitgrößte Insel. Um 9:40 laufen wir pünktlich am Hafen von Lipari ein. Mein Quartier liegt in Canneto, ein Stadtteil von Lipari auf der anderen Seite des Berges. Das Wetter ist traumhaft, das Meer dunkelblau und von meinem Apartment habe ich einen phantastischem Blick.

Die Saison ist schon lange vorbei und mit ihr die große Hitze. 43 Grad sollen es im August gewesen sein. Am Kiesstrand sehe ich nur vereinzelt Badegäste. Der Lido ist kaum besucht. Das erste Bad im 25 Grad warmen, glasklaren, in allen Blau- und Grünnuancen schimmernden Wasser einfach himmlisch. Alles ist ideal. Wären da nicht dringende Arbeiten, die man wahrscheinlich aus Rücksicht auf die Touristen bisher aufgeschoben hat. In unmittelbarer Nähe meines Apartments wird gerade ein Haus abgerissen und die Straße aufgebohrt. Auch das Paradies ist nicht perfekt. Aber wer sagt denn, dass ich den ganzen Tag auf der Terrasse verbringen muss?
Schon am nächsten Tag will ich die Nachbarinsel Vulcano besuchen. Der Vater der Hotelbesitzerin Giovanni bietet mir an, mich mit seinem Motorrad zum Hafen zu bringen. In einem kleinen Boot, das trotzdem kaum besetzt ist, sodass mir der Bootsbesitzer fast ein bisschen leid tut, als er vergeblich nach weiteren Kunden Ausschau hält, schippern wir die Ostküste von Lipari entlang, vorbei am Vulcanello, einer vorgelagerten kleinen Ausgabe des großen Vulkans, der mit schon von weitem sichtbaren Fumarolen keinen Zweifel aufkommen lässt, dass es in seinem Inneren brodelt. Diesen Krater werde ich ersteigen. Die Ampel am Beginn des Weges steht auf grün, soll heißen, ein Ausbruch ist in den nächsten Stunden nicht zu erwarten. Der Anstieg ist nicht schwer, trotzdem mühsam. Im Vulkansand rutsche ich nach zwei Schritten vor wieder einen zurück. Erst im letzten Drittel sorgt ein angelegter Steinweg für mehr Trittsicherheit. Je höher ich steige, desto intensiver der Schwefelgeruch. Das Wetter ist unverändert sonnig und heiß, der Himmel wolkenlos, die Aussicht auf nahezu alle Äolischen Inseln phantastisch. Im Westen Filicudi und Alicudi, unter meinen Füßen Vulcano, vor mir Lipari und im Osten Salina, Panarea und dahinter Stromboli. Von ihm steigt in gewissen Abständen eine schwarze Rauchsäule auf. Feuer sehe ich auf die Entfernung keines. Am Kraterrand sind doch einige Touristen versammelt, außerdem zwei Schulklassen aus Milazzo. So geht Wandertag auf Sizilianisch.

Krater auf Vulcano

Eigentlich sieht er wie ein stillgelegter Steinbruch aus, doch das täuscht. Aus dem gelben Feld steigt ständig schwefeliger Rauch, auch an anderen Stellen dampft es aus den Felswänden, was auf unterirdische Aktivitäten schließen lässt. Der Krater wird ständig beobachtet, um einen Ausbruch, der früher oder später mit Gewissheit wieder passieren wird, früh genug vorhersagen und die Bevölkerung übers Meer evakuieren zu können. Wieder zurück in Porto di Levante lasse ich das stinkende Schwefelschlammbad rechts liegen und begebe mich lieber zum schwarzen Strand. Das Meer ist hier noch etwas wärmer als auf Lipari, was auch an den heißen unterirdischen Gasen liegen mag. Genau genommen liegt das gesamte Gebiet der Äolischen Inseln auf einem Pulverfass. Wenn sich die Erdspalten verschieben und austretendes Magma auf Wasser trifft, dann fliegt alles in die Luft und ein Tsunami läßt auch den übers Meer Fliehenden keine Überlebenschance.

La pischina di Venere

Viele Restaurants sind bereits geschlossen, was den Ort einerseits ein bisschen leblos erscheinen läßt, andererseits hat man den Strand und die Gassen für sich. Nach einer köstlichen Lasagne steige ich wieder an Bord zu einer Inselumrundung. Wir umschiffen den Vulcanello, lassen zwei Türme, die wie mahnende Finger aus dem Meer ragen, rechts liegen und fahren entlang der Westküste bis zur Pischina di Venere und der Grotta di Cavallo. Im natürlichen Pool der Venus muss ich natürlich schwimmen. Das Wasser ist hellgrün schimmernd und umschmeichelt die Haut wie Balsam. Nicht umsonst hat Venus hier ein Bad genommen. Nachts soll es sogar leuchten. Weiter geht es zum Arco dei desideri. In den steilen Felswänden kleben weiße und schwarze wilde Ziegen. Sie geben einen köstlichen Ricotta ab.

La Grotta di Cavallo

Die Unterwelt von Neapel

Ein Ständchen in der Metro. Man beachte meine Fußspitze am unteren Rand

Selbstverständlich gibt es in Neapel auch elegante und saubere Gegenden. Dazu zählt, man glaubt es kaum, die Unterwelt. Die Metro-Stationen glänzen geradezu vor Sauberkeit und einige von ihnen sollen es sogar mit den prachtvollsten der Moskauer U-Bahn aufnehmen können. Wie überall gibt es auch hier Musiker, die sich ihr Brot verdienen, indem sie von Wagon zu Wagon wandern und mehr oder weniger gut spielen. Aber ich habe noch nie einen erlebt, der sich über einen Euro so gefreut hat. Er fragte mich, woher ich komme und in Sekundenschnelle wechselte er von Bella Ciao zum Donauwalzer. Zähne hatte er keine mehr, aber viel Spaß am Spielen.


Und dann das unterirdische Neapel, Napoli Sotterranea. Ursprünglich, vor etwa 5000 Jahren schon, begann man, den Tuffstein als Material zum Bau der Häuser auszugraben. So entstand mit der Zeit ein unterirdisches System aus Höhlen, die später durch Kanäle und Tunnel verbunden wurden. Sie wurden im Laufe der Geschichte als Katakomben, Kulträume und Zufluchtsorte benutzt, z.B. als Bombenschutz im zweiten Weltkrieg. Heute gehören sie zu den Touristenattraktionen der Stadt. Unter Platzangst sollte man nicht leiden, denn größtenteils bewegt man sich zwischen den großen Höhlen, von denen Schächte nach oben führen, durch enge, niedrige Gänge. Dem rasenden Tempo der italienischen Führung kann ich leider nur zur Hälfte folgen, aber es gibt genug zu sehen. Installationen, die die Geschichte illustrieren, wie verstaubte Panzer und Helme, grün schimmernde, glasklare Seen, Blumenbeete unter künstlichem Licht, Aufzüge, mit denen man früher den Stein bzw. das Wasser nach oben transportierte. Wem es oben zu heiß wird, der ist bei der konstanten Temperatur von 18 Grad hier gut aufgehoben. 40 m unter der Erde und über 80 km erstreckt sich diese Stadt unter der Stadt. Die Führung beinhaltet auch die Besichtigung der Reste des griechisch- römischen Theaters.

Panzer aus dem zweiten Weltkrieg

Sant‘Elmo dominiert die Stadt. Von der Station Vanvitelli steigt man durch ein elegantes Viertel hoch zur Festung. Sie hat einen 360 Grad Rundblick über die ganzen Stadt und Umgebung. Auch die Inseln Capri und Ischia sind von hier aus zu sehen. Ich habe viel Zeit, um sie ausgiebig zu besichtigen, denn leider haben sowohl das Nationalmuseum als auch die Capella San Severo heute Dienstag geschlossen. Ein Grund, wieder nach Neapel zu kommen.
Um 19h gehe ich an Bord der Laurana, um nach Lipari, der größten Äolischen Inseln überzusetzen.
Ciao Napoli!

NAPOLI UND ÄOLISCHE INSELN

Der Golf von Neapel mit Vesuv von Sant‘Elmo gesehen

Ich habe keinerlei Erinnerung an diese Stadt, obwohl ich schon einige Male hier war. Bin ich nur durchgefahren oder habe ich sie auf dem Weg zur Amalfiküste umfahren? Antonio, der sich via WhatsApp völlig uneitel als klein, schmächtig und mit Maske beschrieben hat, war in der Ankunftshalle leicht zu finden. Ich zögere, ob ich diesem Fliegengewicht meinen Koffer zutrauen soll, aber er besteht darauf, ihn in den Kofferraum zu hieven. Auf dem Weg zum Hotel bekomme ich einen ersten Eindruck vom Verkehrschaos Neapel. Während der Fahrt versuche ich mehrmals mit ihm und dem Fahrer ins Gespräch zu kommen, um meine Italienischkenntnisse auszuprobieren, aber die beiden sind entgegen meinen Erwartungen nicht sehr gesprächig.  Mehr Glück habe ich im Hotel. Hotel ist vielleicht etwas übertrieben, vielmehr entpuppt sich die Unterkunft als B&B. Mario empfängt mich am Eingang eines Hauses, das wie alle Häuser hier von außen alles andere als vielversprechend aussieht. In einem winzigen Aufzug fahren wir in den vierten Stock. Das Zimmer — überraschend modern und sauber ( letzteres keine Selbstverständlichkeit, wenn man den Zustand der Straßen bedenkt ) — ist noch nicht fertig, es ist ja erst halb elf. Lia wird das Frühstück zubereiten, La Mamma, offenbar die Besitzerin des Hauses. Sie wohnt mit ihrem Sohn Guiseppe ganz oben, darüber befindet sich nur noch eine riesige Terrasse, von der man einen phantastischen Blick über ganz Neapel hat. Und natürlich auf den Vesuv. Er ist näher an der Stadt als ich es in Erinnerung hatte. Leider werde ich mich auf der Terrasse nur während des Frühstücks aufhalten dürfen. Schade, ich wäre gerne am Abend bei Sonnenuntergang mit einem Limoncello Spritz hier gesessen.



Obwohl ich todmüde bin — ich habe letzte Nacht gerade mal drei Stunden geschlafen — muss ich mich jetzt wohl oder übel aufmachen, um die Stadt zu erobern. Das Überqueren breiterer Straßen ist anfangs furchteinflößend, bis ich merke, dass nur stures Weitergehen zum Erfolg führt. Warten, bis die Autos freiwillig stehenbleiben, ist nicht. Nicht einmal bei Rot. Und wenn man schon ein Auto zum Stehenbleiben gezwungen hat, tauchen sicher rechts, links, hinten und vorne plötzlich behelmte Motorad- oder Mofafahrer mit einer Zigarette im Mundwinkel auf, die sich ohne Rücksicht auf Verkehrsregeln zwischen Autos, Passanten und Baustellen durchschlängeln. Und sollten sie mal einen Passanten erwischen, sind sie wahrscheinlich schnell verschwunden. Glücklicherweise trage ich ein leuchtend gelbes Kleid, ich bin also nicht zu übersehen. Auch nicht von den großen Wespen, die sich immer wieder in seinen Falten verirren. Der Stadtplan ist ziemlich ungenau, sodass ich mich durchfragen muss, um mein Ziel zu finden. Mir fällt auf, dass die Leute erst beim dritten Mal auf mein „scusi“ reagieren. Zuerst nahm ich an, sie wollen mit Touristen und ihren dämlichen Fragen nix zu tun haben und stellen sich daher taub. Doch meistens haben sie nach der dritten Frage höflich geantwortet. Sie sind tatsächlich alle schwerhörig. Kein Wunder. Dröhnende Musik aus jedem Café, jeder Pizzeria, jedem Geschäft, hupende Autos, quietschende Busse, knatternde Motorräder und Mofas, Flugzeuge im Sinkflug, schreiende Menschen, Baustellen, Rollläden, die rauf und runter rasseln oder  gerade mit sprühenden Funken repariert werden, Kirchenglocken, Touristenführer, die ihre Schäfchen im Trubel beisammen halten müssen, Verkäufer, die ihre Waren mit heiserer Stimme anpreisen; ein Sprichwort sagt, dass es Neapolitaner sogar fertigbringen, am Nordpol einen Kühlschrank zu verkaufen. Wer würde da nicht irgendwann taub werden oder zumindest die Ohren verschließen? Vom Hafen steigen die Straßen der Altstadt hinauf zur Spaccanapoli, der Via Tribunali.  Sie ist eng, nur länger und genau so voll wie die Salzburger Getreidegasse. Allerdings lustiger. Natürlich sind viele Touristen hier, aber bei aller pittoresken Morbidität  ist die Stadt kein Museum wie so manche europäische Altstadt oder ein Touristenghetto wie Venedig,  sondern äußerst lebendig. Spuren vergangener Pracht und einstigem Reichtum an jeder Ecke. Doch was verrottet ist, wird nicht beschönigt, die Müllabfuhr funktioniert nur fallweise; bröckelnde Fassaden wurden mit wilden Graffiti übermalt, an den von Haus zu Haus gespannten Wäscheleinen hängen die Unterhosen der Mieter, auf den baufälligen Balkons sitzen alte Frauen und beobachten das Treiben zu ihren Füßen; und überall Männer, die irgendwas am oder im Haus reparieren, ohne dass sichtbare Verbesserungen festzustellen sind. Die Straßen sind voller Abfälle, leerer Plastikflaschen und dekonstruierter Taubenleichen. Die Altstadt von Neapel ist ein einziges Klischee. Oder sehe ich nur dieses Klischee, das unzählige Filme seit Jahrzehnten in die Welt tragen? Bedienen die Neapolitaner es mit Begeisterung? Oder scheren sie sich einfach einen Dreck darum? Wenn einem eben dieser Dreck zu viel wird, tut sich plötzlich ein stiller Platz mit tatsächlich etwas Grün auf oder hie und da erblickt man liebevoll gepflegte Innenhöfe und Blumenterrassen. Ich habe ja schon in meinem Quartier den Kontrast zwischen außen und innen erlebt. Doch es gibt stille Orte. Man flieht am besten in eine der unzähligen Kirchen oder noch besser ins Kloster Santa Clara, eine wahre Oase mitten im Altstadtchaos.


Bunte Majolika schmücken Säulen und Bänke, der Kreuzgang ist mit herrlichen Fresken versehen und im Innenhof sorgen uralte Bäume und Springbrunnen für Schatten und Abkühlung. Königin Sancha von Majorca hatte es im 14. Jhrdt. geplant. Eigentlich war sie für das Klosterleben geboren, doch auf Befehl des Papstes musste sie König Robert heiraten. Nach dessen Tod gründete sie schließlich zwei Klöster, eins für die Klarissinnen, eins für die Franziskaner. Der damals gotische Stil wurde später barockisiert, um im 2. Weltkrieg durch Bomben zerstört zu werden. Durch den Wiederaufbau stieß man wieder auf die ursprünglich gotische Form und bei der ist es geblieben. Während die Fresken religiöse und mythische Szenen zeigen, sind die Motive auf den Majolika durchaus weltlich. Jagdszenen, Landschaftsbilder, Genrebilder. Die Nonnen wollten eben auch ein bisschen weltliches Leben schnuppern und nicht nur beten. Gleich via a vis der Klosterkirche steht die elegante Barockkirche Nuovo Gesu. Ein Priester traut dort unbeirrt ein Brautpaar, während Touristen durch die Kirche schlendern.


Langsam macht mir die Hitze zu schaffen und Durst und Hunger machen sich bemerkbar. In Neapel wurde einst die Pizza geboren. Die angeblich beste, zumindest berühmteste Pizzeria von Neapel ist die Pizzeria da Michele. Ob es sich dabei tatsächlich um die alte Pizzeria handelt, die einst drei verschiedene Pizze anlässlich des Besuches der Regina Margarita kreiert hatte, oder um eine Legende? Wer weiß das schon. Eine der drei, mit den Farben der italienischen Flagge rot, weiß, grün, soll der Königin besonders gut geschmeckt haben. Sie bedankte sich beim Pizzabäcker mit einem Brief und so heißt diese Pizza mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum bis heute Pizza Margarita. 

Zwar hatte man mich vorgewarnt — es würden Schlangen vor dem Eingang stehen und man müsse sehr lange warten, aber neugierig bin ich doch. Ich irre eine Weile erfolglos durch die Gassen auf der Suche nach Da Michele. Kein einziger Neapolitaner scheint diese Pizzeria zu kennen. Warum auch. In dieser Stadt gibt es Tausende und keine ist schlecht, sonst würde sie gar nicht überleben. Schließlich muss ich Touristen fragen. Doch nicht Königin Margarita ist der Grund für den Auflauf, der schon von weitem zu sehen ist, sondern eine Königin des Kinos. Julia Robert hat in dem Film Eat Pray Love hier genüsslich eine Pizza verschlungen und damit war der Ruhm dieser sonst unscheinbaren Pizzeria besiegelt. Doch die anderen pizzaioli sind nicht blöd. Schräg gegenüber haben gleich zwei aufgemacht. Sie fangen die hungrigen Touristen ab und machen ihnen ihren eigenen Laden schmackhaft, indem sie die Wartezeit bei DaMichele  maßlos übertreiben und auf die Frage, ob die Pizza dort wirklich so unvergleichlich gut ist, ein müdes Lächeln aufsetzen. Bei mir braucht es nicht viel Überredungskunst, ich denke gar nicht daran, mich anzustellen. Da ich, wie gesagt, keine Pizzafreundin bin, kann sie gar nicht soviel besser sein, als die meisten in Neapel. Schon ihre Größe, die fast den gesamten Tisch einnimmt,  macht mich mutlos. Schließlich schaffe ich sie dann doch. Dazu ein Limoncello Spritz im Plastikbecher. In Ermangelung eines Salats, ernte ich die Blätter eines üppigen Basilikumstocks. Ich hoffe, er war nicht nur als Dekoration gedacht. Es ist nicht gerade kuschelig auf dem unbequemen Stuhl inmitten der Abgase und dem Lärm, und doch wäre ich gerne länger sitzengeblieben, denn allmählich  macht sich mein Schlafmangel bemerkbar und meine Beine sind mittlerweile bleischwer. 


Neapel ist voll von Maradona. Nichts, was nicht mit seinem Bild geschmückt ist. Und Tausende rennen mit seinem blauen Trikot herum. Fußball, Kirchen, Pizza. Die Dreifaltigkeit. Und angeblich Verbrechen. Mir ist es glücklicherweise nicht begegnet, aber die Mafia wird sich hüten, Touristen anzugreifen. Schließlich sind sie an den Einnahmen beteiligt. Niemand hat das in einem Bild besser zum Ausdruck gebracht als Bansky. Seine Madonna mit Pistole ist gerahmt und mit einer Goldtafel versehen auf der Piazza San Gaetano zu finden.


Mein Zimmer ist inzwischen fertig, doch leider funktioniert das WiFi nicht. Mario murmelt etwas von gerade aufgetretenen Problemi, doch ich vermute stark, dass es noch nie funktioniert hat. Ich sollte mich nicht preoccupare, meint er, also keine Sorgen machen. Ich mach mir keine Sorgen, aber Internet hätte ich trotzdem gerne. Schließlich muss ich für morgen noch das Programm zusammenstellen. Das Schiff legt erst um 20h ab. Ab 10h bin ich obdachlos und muss mich bis dahin in der Stadt herumtreiben.